Theben

[111] Theben (Thebae), eine der ansehnlichsten und berühmtesten Städte Griechenlands in Böotien, am Flusse Ismenos. Für den ersten Erbauer derselben wird insgemein Cadmus (im J. der Welt 2520) gehalten, welcher wenigstens die Oberstadt oder Burg Cadmäa anlegte. Die Erweiterung und Umgebung der Stadt mit Mauern hatte man dem Amphion zu verdanken, der, weil er durch seine mächtige Beredsamkeit die zerstreuten Bewohner der Wälder und Gebirge aus der Nähe hieher zu ziehen wußte, in der Fabellehre zu dem Rufe kam, durch seine Leier selbst die Steine in Bewegung gesetzt zu haben. Theben gehörte wegen ihrer günstigen Lage und ihrer innern Stärke zu den fruchtbarsten Theilen Griechenlands. Ackerbau und Handlung lagen ganz in ihrer Gewalt; sie war das Oberhaupt von den meisten kleinen und größeren Städten Böotiens: dieses stand ganz unter Thebens Leitung. In ihrem Umfange hatte sie Sieben Thore (eben daher wurde sie auch Heptapyle genannt), und faßte 40 bis 50,000 freie Menschen. In Rücksicht ihrer Sitten und ihres Charakters hatte man freilich nicht die beste Meinung von den Thebanern: sie galten, so wie überhaupt die Böotier, für unmäßig, schwelgerisch, plump und ungesittet.

Ueber Thebens ältere Geschichte, so wie über ihre[111] innere Staatsverfassung herrscht eine ziemliche Dunkelheit. 37 Jahre vor der Zerstörung Trojais belagerte Polynices, Adrastus und mehrere Theben, welches Unternehmen der Krieg der Sieben wider Theben genannt wird. (So giebt es von Aeschylus ein Trauerspiel: Sieben wider Thebon, und von Statius ein Gedicht in 12 Büchern: Thebais, über denselben Gegenstand.) Nach des Xanthus, des letzten Königs, Tode – er blieb im Zweikampfe mit dem Athener Melanthus – fingen die Thebaner an, eine freie Republik zu machen, während welcher sie mit den Platäensern und Atheniensern, wiewohl immer zu ihrem Nachtheil, in steter Feindschaft lebten. In dem berühmten Kriege mit Xerxes war Theben unedel genug, sich von dem übrigen Griechenland abzusondern; und schon bei Vertheidigung des Passes von Thermopylä, vorzüglich aber in der Schlacht bei Platäa hatten sie sehr unrühmliche Beweise ihrer Verworfenheit gegeben, so daß nun auch das Heer des übrigen siegenden Griechenlands vor Theben rückte, wo die Oberhaupter ausgeliefert werden mußten, und überhaupt Thebens Oberherrschaft in Böotien einen empfindlichen Stoß erhielt. Nur erst in dem Peloponnesischen Kriege, wo sie mit den Lacedämoniern gemeinschaftliche Sache machten, wurden sie an den Atheniensern gerächt. Aber dieß dauerte nicht lange. Theben, das nur zu bald die Uebermacht Spartaʼs spürte, suchte Athen sich wieder zum Freunde zu machen, schloß mit diesem ein Bündniß, und lieferte in dieser Verbindung den Spartanern mehrere wichtige Treffen, in deren einem diese ihren berühmten Anführer, Lysander, verloren. Allein, trotz mehrerer ruhmvoll errungenen Schlachten schien doch auf einmahl ihre ganze Kraft gesunken: in dem endlich zwischen den Griechen und dem Persischen König geschlossenen Frieden mußte Theben aller Gewalt über die Böotischen Städte feierlich entsagen; und sie sah sich schon ganz gedemüthiget, ganz herabgesetzt; ja, durch die niederträchtige Verrätheret eines ihrer Oberhäupter, Leontiades, wurden sie endlich von den Spartanern überlistet, die sich des Schlosses Cadmäa bemächtigten, und dasselbe schon beinahe drei Jahre inne hatten, als auf einmähl eine Verschwörung, die schon lange in geheim vorbereitet [112] worden war, ausbrach, und die gänzliche Befreiung Thebens zur Folge hatte, welches denn nach mehrjährigem Kriege endlich in der zur Bezweckung eines allgemeinen Friedens gehaltenen allgemeinen Versammlung der Griechischen Staaten durch Epaminondas Geist und Muth sich Sparta entgegen stellen konnte, dafür zwar von des letztern König, Agesilaus, von jenem allgemeinen Frieden ausgeschlossen, aber nun auch in der für Theben und für die Geschichte unvergeßlichen, von Epaminondas gelieferten Schlacht bei Leuctra aufs fürchterlichste gerächt, und dadurch auf Einmahl neben Athen und Sparta als Staat erster Größe erhoben wurde. Zwar wurde es darüber sehr angefochten; allein so lange ein Epaminondas und Pelopidas – zwei der unzertrennlichsten Freunde – an ihrer Spitze standen, erhielt sich Theben in dem größten Ansehn, erwarb sich die ansehnlichsten Bündnisse, auch mit den Persiern etc. Allein mit dem Tode dieser beiden Helden – Epaminondas fiel, vier Jahre später als Pelopidas, in dem Treffen bei Mantinea im dritten Jahre der 104. Olympiade – sank auch auf einmahl das Glück und die Hoheit Thebens. Sie führten noch den so genannten heiligen Krieg wider die Phocenser, wozu sie endlich den König Philipp von Macedonien zu Hülfe riefen, allein bald selbst dessen Gewalt fühlten, und endlich, da sie sich gegen diesen mit den Atheniensern verbanden, durch die Niederlage bei Chäronea1 gezwungen wurden, Macedonische Besatzung einzunehmen. Nach Philipps Tode ließen sie sich einfallen, aufs neue sich in ihre vorige Freiheit zu setzen: allein Alexander der Große schlug sie (3615) gänzlich, und zerstörte Theben so, daß es ganz der Erde gleich gemacht wurde; bloß das [113] Haus, wo der berühmte Dichter Pindar (100 Jahre zuvor) gewohnt hatte, ließ er verschonen. Zwar wurde sie nachher von Caßander wieder auferhaut; aber nie gelangte sie wieder zu ihrem vorigen Glanze, bis sie endlich mit den übrigen Griechischen Städten in der Römer Gewalt kam, wo sie einen ganz unbedeutenden Ort ausmachte, so daß unter Antoninus Pius nur noch das Schloß stand: jetzt ist es ein unansehnliches Dörfchen (Stives) unter Türkischer Botmäßigkeit. – Das alte Theben hatte viele berühmte Männer, die aus seiner Mitte hervorgingen: Herkules wurde hier geboren; Bacchus war (wenigstens von Seiten seiner Mutter, Semele), ein Thebaner; Amphion, Pindar, Cebes – Epaminondas, Pelopidas sind Namen, die ewig denkwürdig bleiben werden.

Uebrigens gab es noch mehrere Städte des Namens Thebe, z. B. in Ober-Egypten (von Osiris erbaut), eine der größten und schönsten Städte, und die Hauptstadt des ganzen Egyptens, welche Ehre sie hernach Alexandria lassen mußte; ferner ein Thebä in Thessalien, in Mysien etc.

1 In dieser unglücklichen Schlacht war es, wo die berühmte heilige Schaar – 300 junge Männer. durch Bande der Liebe und des Ehrgeitzes aufs innigste verknüpft – ihren Tod fand. Vierzig Jahre hindurch war sie fast bei allen Treffen gegenwärtig, wurde in keinem überwunden, und fiel in diesem letzten, bei Chäronea, ganz vereint mit einander. Alle lagen hier auf dem Schlachtfelde getödtet, neben und über einander. Selbst Philipp, der Sieger, konnte sich bei diesem Anblick der Thränen nicht enthalten; tiefgerührt rief er aus: Wehe dem, der von diesen Männern glauben möchte, daß sie je etwas Schändliches thun oder dulden konnten!

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 111-114.
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