Theben [2]

[456] Theben (Thebe, Thebä), Stadt in Böotien, die einzige Festung dieser Landschaft, lag in einer fruchtbaren Ehe mit der Burg Kadmea im Südwesten[456] der Stadt, wurde von dem Ismenos u. der Quelle Dirke durchflossen. Th. hatte 43 Stadien im Umfang u. schon zu Homers Zeit sieben Thore (daher Thebe Heptapylos: Prötides, Krenää, Neltä, Hypsistä, Elekträ, Ogygiä, Homoloides), vor dem Thore lagen noch Vorstädte (Komä); von Alexander dem Großen wurde es, bis auf das Haus des Dichters Pindar, zerstört, doch ließ Kassander Th. wieder herstellen, auch die sieben Thore wurden wieder an ihren vorigen Ort gelegt. Zur Römerzeit sank die untere Stadt zu einem Flecken herab, nur Kadmea blieb unter dem Namen Th, j. Thiva. Die Spuren von Th-s alter Größe, von Theatern, Gymnasien, Tempeln etc. sind verschwunden. An den Männern rügte man die rohe Derbheit, den übermüthigen Trotz, die dumme Gleichgültigkeit u. die schwerfällige Sprache u. Geberden; ganz das Gegentheil waren die Frauen. Th. hatte einen von dem Volke gewählten Archon u. einen Polemarchos, welcher berechtigt war jeden Bürger wegen eines Capitalverbrechens auf der Stelle festzunehmen; ihm zur Seite stand ein Grammateus; außerdem noch ein Rath. Nach der Verfassung des Philolaos sollte die Zahl der Vermögensinhaber immer gleich erhalten werden, der Verkauf liegender Güter, so wie Treiben des Handels war verboten, insolvente Schuldner wurden ehrlos; Kinder durften nicht ausgesetzt, konnten aber von armen Eltern als Sklaven verkauft werden; Flötenspiel war nothwendiger u. erster Theil der Erziehung. Diese Gesetze hielten sich bis in die späte Zeit herab. Der Cultus in Th. galt in der älteren Zeit der Demeter, der Kore, dem Kadmos, dann dem Bakchos; ihre Tempel waren auf der Burg; viel neuer war die Verehrung des Apollon, dessen Heiligthum (Ismenion) in der Vorstadt war. Die Münzen von Th. haben bei verschiedenem Revers alle auf der Hauptseite den hoch ausgeprägten thebanischen Schild.

Kadmos (s.d.) mit einer phönicischen Colonie soll Th. um 1550 v. Chr. gegründet haben, nachdem ihm ein Orakel befohlen hatte sich da niederzulassen, wo sich die ihm vorausgehende Kuh niederlegen würde. Nachdem er die große Schlange am Brunnen des Ares getödtet, gründete er Kadmea. Nach der Flucht des Kadmos nach Illyrien erhielt sein Enkel Pentheus, der Sohn seiner Tochter Agaue u. des Echion, die Regierung, welche nach dessen Ermordung sein Vater Echion übernahm. Dem Echion folgte des Kadmos Sohn, Polydoros, nach dessen Tode sein Schwiegervater Nykteus als Vormund des unmündigen Labdakos die Regierung übernahm. Nachdem auch Labdakos gestorben war, verwaltete Lykos, der Bruder des Nykteus, für Laïos, den Sohn des Labdakos, das Land. Lykos wurde von den Brüdern Zethos u. Amphion getödtet, welche nach der Vertreibung des Laïos gemeinschaftlich über Th. regierten. Sie umgaben die Stadt mit hohen u. festen Mauern; dabei hatte Amphion nach der Sage durch das reizende Spiel auf der Leyer die Steine herzugelockt. Nach dem Tode Beider kam Laïos wieder zur Regierung; als dieser aber von seinem Sohn Ödipus (s.d.) unbewußt ermordet worden war, hatte einstweilen Kreon, der Schwager des Laïos, die Herrschaft an sich gezogen, welche er dann nebst der Hand der Jokaste, der Gattin des Laïos, dem versprach, welcher das Räthsel der Th. verderbenden Sphinx (s.d.) lösen würde. Ödipus löste das Räthsel u. bekam die Herrschaft u. dazu seine Mutter in die Ehe; übergab jedoch erstere nach der Kundwerdung seiner Geschichte seinen beiden Söhnen Eteokles u. Polynikes mit der Verordnung, daß sie ein Jahr um das andere regieren sollten. Daraus, daß Eteokles den Vertrag brach, entstand der (erste) Thebanische Krieg (Zug der Sieben gegen Th., s. Eteokles 2), in welchem beide Brüder umkamen. Nun regierte Kreon wieder; aber nach 10 Jahren unternahmen die Söhne jener sieben Fürsten einen Rachezug gegen Th. (Krieg der Epigonoi, s.d. 2); sie schlugen die Thebaner u. nahmen u. verbrannten Th. Thersandros, Sohn des Polynikes, wurde nun König. Zu den alten Einwohnern der Stadt gesellten sich andere Böoter, welche zwar mit den Kadmeern zu einem Volk verschmolzen, aber doch von nun an die herrschenden Geschlechter wurden. Nach Thersandros bekam sein Sohn Tisamenos die Regierung, welchem Autesion folgte, den aber die Thebaner aus Abscheu gegen das Haus des Ödipus vertrieben. Nach diesem lassen Andere noch drei Könige regieren, Damasichthon, Ptolemäos u. Xanthos. Xanthos war der letzte König, er blieb auf einem Zuge gegen Athen (s.d. S. 878). An die Stelle der königlichen Herrschaft trat nun eine Demokratie, weshalb Philotas, der Bruder des Xanthos, mit den Oligarchen Th. verließ u. sich nach Orchomenos wendete. Th. gehörte nun zu dem Böotischen Bund (s. Böotien, Gesch.), dessen Angelegenheiten die Böotarchä (s.d.) leiteten, welche meist in Th. ihren Sitz hatten, daher Th. als der Hauptstaat des Bundes angesehen werden kann, auch hatte von den zwei Böotarchen, welche Th. stellte, einer stets die höchste Herrschaft. Im 8. Jahrh. v. Chr. kam der Bakchiade Philolaos nach Th., welcher der Gesetzgeber der Thebaner wurde, (s. oben). In den Perserkriegen standen die Thebaner mit Orchomenos auf der Seite der Perser u. wurden mit denselben bei Platää geschlagen. Nachdem die Athener unter Tolmidas u. Klinias von den Orchomeniern 447 v. Chr. bei Koronea besiegt worden waren, kehrten die Oligarchen nach Th. zurück u. stürzten die demokratische Verfassung; sie hatten die Herrschaft wieder bis zu Ende des Peloponnesischen Krieges, wo Th. von Neuem demokratisirt wurde. Dadurch aber entstand ein verderblicher Zwiespalt mit Orchomenos; die Thebaner hielten es nun mit den Athenern u. standen gegen die Spartaner, denen sie mit ihren Bundesgenossen in der zweiten Schlacht bei Koronea 394 v. Chr. unterlagen. Durch spartanischen Einfluß wurde, nachdem sich der spartanische Feldherr Phöbidas auf seinem Zug nach Olynthos, der Burg bemächtigt u. eine spartanische Besatzung daselbst eingelegt hatte (383), in Th. die Oligarchie wieder hergestellt, das Haupt der Demokraten, Ismenias, hingerichtet u. die anderen hervorragenden Demokraten verbannt. Unter diesen war Pelopidas; er ging nach Athen u. sann auf Befreiung seiner Vaterstadt, indem er mit den dortigen Patrioten, bes. Phyllidas, dem Secretär des oligarchischen Polemarchen Leontiades, in Verbindung blieb. Ein Gelag der Gewalthaber in Th. wurde als Zeitpunkt der Befreiung angesetzt. Pelopidas u. zwölf andere Vertriebene erschienen von Thria aus, als Jäger gekleidet, 379 in Th., versammelten sich, nebst 36 anderen Thebanern, bei Charon u. brachen in der Nacht bei den Zechenden ein, erschlugen hier alle Oligarchen u. stellten die Demokratie wieder her. Pelopidas wurde nun einer der Böotarchen u. begründete mit seinem Freunde Epaminondas die Hegemonie Th-s in Griechenland.[457] Mit athenischen Hülfstruppenvertrieb er die lacedämonische Besatzung. Die Folge davon war der Thebanische Krieg (s.d.) mit Sparta. Siegreiche Züge machten die Böoter unter Pelopidas 368 gegen Orchomenos, weil orchomenische Edle mit vertriebenen thebanischen Oligarchen eine Verschwörung gegen Th. gemacht hatten, u., von den thessalischen Städten zu Hülfe gerufen, gegen Alexander von Pherä. Und so mächtig wurde jetzt Th., daß es nicht allein den Streit zwischen den macedonischen Kronprätendenten Alexander II. u. Ptolemäos Alorites schlichtete (damals wurde auch Philippos, Bruder Alexanders, als Geißel mit nach Th. genommen), sondern auch 366 mit dem Perserkönig Artaxerxes ein Decret machte, wodurch den Griechen befohlen wurde, daß Athen die Ansprüche auf die Herrschaft des Meeres aufgeben u. alle griechischen Städte sich nach eigenen Gesetzen regieren sollten; über Erhaltung des Friedens wollten Persien, Th. u. ihre Verbündeten wachen. Doch kamen diese Bedingungen nicht zur Ausführung. Nachdem Pelopidas 364 bei Kynoskephalä gegen die Pheräer u. Epaminondas 362 bei Mantinea geblieben waren, schwand auch die Größe T-s. Noch hielt es sich als Bundesgenoß des Philippos von Macedonien, welchen es gegen die Phokenser zu Hülfe gerufen u. mit dessen Unterstützung es jene nebst ihren Bundesgenossen, den Athenern u. Spartanern, geschlagen hatte; unterwarf sich auch mit dessen Bewilligung viele der böotischen Staaten. Da aber die Thebaner darnach, verbunden mit den Athenern, gegen die Macedonier feindlich auftraten, um sich den Anmaßungen des Philippos zu entziehen, wurden sie 338 bei Chäronea geschlagen u. Th. bekam macedonische Besatzung. Nach Philipps Tod empörte sich Th. u. ermordete die Befehlshaber der Besatzung; deshalb zog Alexander der Große gegen Th., nahm es 335 ein u. zerstörte es gänzlich (nur das Haus des Dichters Pindar wurde geschont); 30,000 Thebaner wurden in die Sklaverei verkauft u. ihre Güter unter die böotischen Städte vertheilt. Kassander stellte mit Hülfe der Athener Th. 316 wieder her, welches nun macedonisch blieb, bis zu den Kämpfen der Macedonier mit den Römern 201 v. Chr. Damals bemächtigte sich Flamininus Th-s mit List; die Römer waren aber bei den meisten Bürgern verhaßt u. in allen böotischen Städten brach ein blutiger Aufstand gegen sie aus. Die Häupter der macedonischen Partei wurden mehrmals den Römern überantwortet u. Th. ergab sich seit 171 ganz in römische Hände. In dem Achäischen Kriege flohen 146 die Thebaner in den Peloponnes u. ließen ihre Stadt veröden. Als Th. durch Mithridates aufgeregt sich vom römischen Joch befreien wollte, wurde es von Sulla gezüchtigt u. zur Hälfte dem Tempel in Delphi geschenkt. Th. konnte sich unter den Einfällen der Barbaren u. Slawen nicht wieder erholen, u. nachdem es sich später durch den Seidenbau etwas gehoben hatte, verwüstete es 1147 Roger von Sicilien u. führte die Seidenweber nach Sicilien. Im Anfang des 13. Jahrh. eroberte der Korinthier Leo Sguros Th. auf seinem Zuge gegen Macedonien, dann aber wurde es von fränkischen Rittern wieder genommen u. zu dem Großherzogthum Athen geschlagen, wo damals Rainer Acciajuoli regierte; nach dessen Tode erbte es dessen natürlicher Sohn Antonio I. Acciajuoli, bis es 1310 den Cataloniern in die Hände fiel, deren Anführer Roger Delau aus Roussillon seinen Sitz in Th. nahm u. von hier aus im Namen der sogenannten Großen Gesellschaft Böotien u. Attika beherrschte. Als die Macht dieser Abenteurer 1382 durch Hülfe der Albaneser gebrochen worden war, setzten sich Albaneser in der Gegend von Th. In der türkischen Zeit gehörte Th. (Thiva) zum Sandschak Egribos, es war eine schlechte Stadt von etwa 8000 Ew., deren türkischer Theil im Befreiungskrieg vertrieben wurde. Reschid Pascha nahm im Juni 1826 Th. u. zerstörte es fast gänzlich; 1827 wurde es durch den Sieg bei Navarin befreit. Th. kam nun an Griechenland u. ein griechisches Gouvernement erhielt darnach den Namen Th.; jetzt gehört es unter dem Namen Thiva (s.d.) zur Nomarchie Attika u. Böotien. Schon unter den Alten gab es mehre Beschreibungen u. geschichtliche Nachweisungen über T. (Thebaïka), wie von Aristodemos, Armenidas, Lysimachos, Aristophanes, welche sämmtlich verloren sind; Rob. Unger, Theban. paradox., Halle 1839.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 456-458.
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