Manie

[45] Manie, Tobsucht, Tollheit, Raserei, Wuth sind gleichbedeutende Benennungen für diejenige Art von mit Mangel an klarem Bewußtsein und Unfreiheit des Willens verbundener Seelenstörung, welche sich hauptsächlich durch einen unwiderstehlichen Trieb zu vernunftwidrigen, gewaltsamen und zerstörenden Handlungen auszeichnet. Sie tritt meist anfallsweise auf, mit längern oder kürzern, völlig freien oder wenigstens ruhigern Zwischenzeiten und verräth mitunter auch ihren bevorstehenden Ausbruch durch mehrfache Krankheitserscheinungen. Menschen, denen das Unglück bevorsteht in Tobsucht zu verfallen, leiden gewöhnlich längere Zeit vorher an Schlaflosigkeit, haben einen wilden, drohenden oder auch heimtückischen Blick, funkelnde, widernatürlich geröthete Augen, überhaupt ein rothes, erhitztes Ansehen, nirgend Ruhe, können kein Glied still halten, knirschen dann und wann mit den Zähnen, holen keuchend und mühsam Athem, klagen über heftige Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen, Angst, großen Durst, Stuhlverstopfung und ein eigenthümliches Gefühl von Brennen in den Gedärmen, das nach und nach durch Brust und Hals zum Kopfe aufsteigt, worauf gewöhnlich sogleich der Anfall ausbricht. Nun fangen die Kranken an zu heulen und zu jammern oder auch unaufhaltsam zu schwatzen und zu lachen, schreien, brüllen und springen herum, toben und wüthen bewußtlos gegen sich oder ihre Umgebungen, es seien dies Menschen, Thiere oder leblose Dinge, nicht selten nach tückischer Verheimlichung ihrer Absicht. Manche verhalten sich auch ruhiger, knirschen blos mit den Zähnen und murmeln vor sich hin, fallen aber demungeachtet Jeden, der sich ihnen unvorsichtig nähert, unversehens an, schlagen auf ihn los, mishandeln ihn, ja suchen ihn ohne Erbarmen umzubringen, falls sie nicht daran gehindert werden, und diesen Grad des Übels heißt man die stille Wuth. Während eines solchen Anfalls, der Stunden und Tage lang anhalten kann, zeigen selbst außerdem schwache Menschen eine in der Regel nur durch besondere Vorrichtungen, durch Zwangswesten, Zwangsstühle u.s.w., auf die Dauer zu bändigende Muskelkraft. Ist jedoch der Anfall vorüber, so verfallen sie in einen Zustand von Schwäche und Abspannung, der zuweilen selbst in Ohnmacht übergeht. Nur selten erinnern sich die Kranken Dessen, was sie während des Anfalls gethan haben und dann immer nur undeutlich und unrichtig; meistens sind sie sich desselben aber gar nicht bewußt. Leiden sie noch nicht lange an Manie, oder tritt dieselbe im Gefolge einer rasch verlaufenden Krankheit ein, so werden sie oft gänzlich geheilt; zuweilen aber wird leider die Manie zu einem langwierigen Übel und endet wol auch während oder nach schnell aufeinander folgenden und heftigen Wuthausbrüchen durch Convulsionen und Schlagfluß mit dem Tode, oder geht in Melancholie, Blödsinn, bei längerer Dauer und mäßiger Heftigkeit der Anfälle in Abzehrung, Wassersucht über. Am häufigsten werden Menschen, namentlich Männer, von cholerischem oder cholerisch-sanguinischem Temperamente und beschränkten Geistesgaben, die zugleich sehr sinnlich sind, überhaupt aber bei jeder Gelegenheit [45] ihren Leidenschaften den Zügel schießen lassen, von Manie befallen.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 45-46.
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