Mutterkorn

[228] Mutterkorn werden die vorzüglich in nassen Jahren und meist am Roggen, allein auch an der Gerste (daher Muttergerste) und andern Getreidearten vorkommenden, durch Bildung eines Schwammes oder nach Andern in Folge von Insektenstichen verunstalteten und krankhaft entarteten Körner genannt, welche sich durch violet-schwärzliche Farbe auszeichnen, aus den Getreideähren hervorragen, der Länge nach gefurcht, innerlich weiß und mitunter fast einen Zoll lang sind. Das Mutterkorn hat einen zuerst etwas süßlichen, hinterher widerlichen Geruch, ertheilt dem Brote ein bläuliches Ansehen und einen unangenehmen Geschmack, gehört für Menschen und Thiere zu den betäubenden Pflanzengiften und hat, in einiger Menge genossen, die schädlichsten Folgen. Menschen leiden danach an Neigung zum Schlaf, Schwindel, Durst und Hitze, verlieren den Appetit, bekommen eine schwarzrothe Gesichtsfarbe und empfinden in allen Gliedern ein lästiges Ameisenlaufen und Kriebeln. Hierauf stellen sich Krämpfe und ein Ziehen im Körper ein, die nach einigen Wochen Verrenkungen, Lähmungen und Brand (s.d.) einzelner Gliedmaßen nach sich ziehen und den Kranken zum Krüppel machen, wenn er nicht gar dem Übel unterliegt, welches von dem erwähnten Kriebeln den Namen Kriebelkrankheit führt, auch Kornstaupe genannt wird. Obgleich diese schrecklichen Zufälle nicht immer sämmtlich bei Jedem eintreten, der an genossenem Mutterkorn erkrankt, und die Schädlichkeit desselben auch nicht überall und unter allen Umständen dieselbe zu sein scheint, so bleibt darum doch die sorgfältige Reinigung des ausgedroscheuen Getreides von dieser jedenfalls schädlichen Beimischung die Pflicht des Landwirths, und wird von der Gesundheitspolicei auch gesetzlich gefodert. Wie von andern Giften hat die ärztliche Kunst auch vom Mutterkorn in gewissen Fällen eine heilsame Anwendung zu machen gelernt.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 228.
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