Mutterkorn

[598] Mutterkorn (Secale cornutum), 1/2–1 Zoll langer, walzenförmiger, etwas gekrümmter, eckiger Körper, hat auf der einen Seite eine vertiefte Linie, der, bes. in nassen Jahren od. auf feuchten Feldern, zwischen den Spelzen des Roggens (auch anderen Grasarten) hervorkömmt. Es ist außen schmutzig dunkelviolett, inwendig weiß, hat an der Spitze oft einen kleinen, weichen, schmierigen Wulst, riecht schwach unangenehm, auch wohl gar nicht, schmeckt unbedeutend süßlich bitterlich u. besteht im Innern aus runden, gegen die Peripherie hin dichter zusammengedrängten Zellen. Wiggers fand bei der chemischen Untersuchung des M. einen eigenthümlichen Zucker, die Mycose (s.d.), eine weiße krystallisirbare Substanz, das Cerin, u. eine nicht krystallisirbare bittere Substanz, welcher man die geistige Wirkung des M. zuschreibt, das Ergotin (s.u. Ergot). Das M. ist ein Pilz, welcher schon zur Blüthezeit den jungen Fruchtknoten befällt u. denselben mit einem weißen Pilzgewebeüberzieht, welches, unter Absonderung einer klebrigen Flüssigkeit, in seiner Oberfläche reichliche Sporen bildet, je nach der Witterung schneller od. langsamer in das Innere des Korns eindringt u. dessen Zellen zerstört. Die Pilzmasse, welche darauf auch im Innern Sporen entwickelt, bildet das eigentliche M., aus dem im nächsten Frühjahr ein od. mehre Exemplare eines gestielten Kugelpilzes (Claviceps) hervorwachsen, welche im Innern zahlloser Fruchtschläuche 6–8 fadenförmige Sporen bilden. Diese treten aus dem geöffneten Schlauche hervor, gelangen, von dem. Winde entführt, zur Blüthezeit des Getreides in die junge Ähre u. erzeugen, daselbst keimend, das Pilzgewebe. Mit demselben beginnt die Erkrankung des Fruchtknotens, worauf die in Schleim gebetteten Sporen, welche gleichfalls keimen, das Übel während des Sommers weiter verbreiten, so daß man noch im Herbst die ersten Anfänge des M-s, selbst an dem fast ausgebildeten Samenkorn, findet, welches in diesem Falle von dem Pilze nur theilweise zerstört wird. Nach den neuen Beobachtungen Turlarnes ist die mit einer Erkrankung der Samen parasitisch auftretende Vegetation kein vollständiger Pilz, sondern nur das Keimlager für bisher unbekannte größere Pilze, welche aus dem M. hervorwachsen, wenn dasselbe einen Winter hindurch in feuchter Erde gelegen hat. Die vollständigen Pilze sind keulenförmige Gebilde: Claviceps macrocephala. Das M. wirkt narkotisch giftig, indem der Genuß von Brod aus Getreide, das damit vermengt ist, allerhand krampfhafte Zufälle u. selbst die Kriebelkrankheit hervorbringt. Nur dann ist der Genuß des Brodes, in welchem sich M. befindet, unschädlich, wenn der mit M. verunreinigte Roggen vor dem Mahlen gedörrt wurde. Das Entfernen des M-s aus dem Roggen kann nur durch Auslesen bewirkt werden. In der Medicin wird das M. gebärenden Frauen u. Thieren bei mangelnden Wehen zur Beförderung der letzteren in kleiner Gabe gegeben. Auch als ein Mittel gegen Muttermundverschließung hat sich das M. bewährt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 598.
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