Stimme

[302] Stimme nennt man die Gesammtheit aller der Laute, welche von Thieren höherer Organisation beim Athmen, besonders beim Ausathmen, mit Hülfe der Respirationsorgane und vorzüglich des Kehlkopfs hervorgebracht werden können. Die Säugthiere haben mit wenigen Ausnahmen (z.B. des Ameisenbärs und des Schuppenthiers) eine Stimme. Eine sehr mannichfaltige Stimme haben die Vögel und unter ihnen wieder vorzugsweise die Singvögel. Einige Vögel haben in ihrer Stimme Ähnlichkeit mit dem Menschen und können wol auch vermöge ihrer breitern und dickern Zunge menschliche Sprachlaute nachbilden. Bei den Amphibien verliert sich schon die Ausbildung des Kehlkopfs und damit auch die Stimme. Sie bringen indeß noch großentheils mit ihren Athmungswerkzeugen wenn auch nur einförmige Laute hervor, welches bei Fischen und Insekten nicht der Fall ist. Viele der letztern geben zwar Laute, doch diese bilden keine Stimme, weil sie nicht durch die Athmungsorgane, sondern durch die Bewegung der Flugwerkzeuge erzeugt werden. Über die Art und Weise, wie die Stimme durch die Athmungsorgane erzeugt und modificirt wird, hat man noch wenige sichere Erkenntnisse. Vergleicht man die Stimme den Tönen musikalischer Instrumente, so werden in ihr die Töne gleichzeitig wie bei den Blasinstrumenten und wie bei den Streichinstrumenten erzeugt, d.h. zugleich durch die Schwingungen einer Luftsäule, welche sich durch den eigenthümlich organisirten Kehlkopf (s.d.) hindurchdrängt, und durch das Erbeben der Bänder der Stimmritze. Aber auch alle übrigen Theile, namentlich des Kopfes, welche durch die beim Ausathmen in Bewegung gesetzte Luft gleichfalls in Bewegung gesetzt werden, tragen zur Modification der Stimme überhaupt und der einzelnen Töne bei. Einen wesentlichen Einfluß haben auch die beiden sogenannten Stimmnerven, deren Durchschneidung völlige Verstummung zur Folge haben. Von eigenthümlichem Einflusse sind die Geschlechtsverhältnisse. Viele Thiere geben während der Begattungszeit eigenthümliche Laute von sich, besonders die Vögel singen während derselben; die Stimme des Weibes erlangt erst nach der Mannbarwerdung Klang und Stärke, und die des Mannes verändert sich bei der Mannbarwerdung vollkommen, sie wird tiefer und kraftvoller. Bei Kastraten bleibt die Stimme hoch, wird aber beim Austritt aus den Knabenjahren kräftiger. Krankhafte Zustände des Körpers, namentlich des Nervensystems, bringen oft sehr auffallende Veränderungen in der Stimme hervor. Sie fehlt entweder ganz, welchen Zustand man Aphonia nennt, oder es tritt eine krankhafte Veränderung, Paraphonia oder Kakophonia, derselben ein, sodaß sie entweder unnatürlich hoch oder tief, laut oder schwach erscheint. Der Mensch hat die biegsamste und mannichfaltigste Stimme. Indem er dieselbe mit den Sprachwerkzeugen articulirt, entsteht die Sprache, indem er die verschiedenen Töne nach ihrer Höhe, Tiefe und Stärke abmißt und in kunstreiche Verbindung setzt, der Gesang. In Bezug auf die Höhe, den Umfang, den eigenthümlichen Klang, die Fülle und Klarheit unterscheidet man in der Gesangskunst vier Hauptstimmen: Sopran (s.d.) oder Discant, Alt (s.d.), Tenor (s.d.) und Baß (s.d.). In übergetragener Bedeutung unterscheidet man diese vier Stimmen auch in der Instrumentalmusik. Der Sopran heißt auch die Oberstimme oder Hauptstimme, weil derselbe gewöhnlich die Melodie hat; den Baß nennt man auch die Grundstimme, weil auf den Tönen desselben die Accorde ruhen, und Alt und Tenor nennt man die Mittelstimmen. Die weibliche Stimme ist in der Regel Sopran, Knaben haben Altstimmen, Männer Tenor- oder Baßstimmen. Discantinstrumente nennt man: die erste Violine, die Flöte, Hoboe, Clarinette, Trompete, Posaune, das erste Horn; Mittelstimmen: die zweite Violine, die Viole, das zweite Horn, die zweite Clarinette und die zweite Trompete. Zwischen den vier Hauptstimmen liegen verschiedene Übergänge. Man unterscheidet den hohen und den niedern oder halben Sopran (mezzo soprano), den zweiten Discant, den hohen Tenor und den Baritenor, und den Bariton zwischen Tenor und Baß, Die Vorzüge einer guten Singstimme sind Deutlichkeit und Bestimmtheit in der Angabe des musikalischen Tons (die Intonation), Reinheit, Stärke, Leichtigkeit, Dauer, Gleichmäßigkeit, Fülle und Wohlklang der Töne. – Stimme nennt man ferner bei einem Musikstück jeden einem Instrumente oder einem Sänger zur Aufführung übertragenen Theil. Je nachdem die Instrumentisten oder Sänger allein oder nur zur Verstärkung der Hauptstimmen mitwirken, unterscheidet man dann Solostimmen und Ripienstimmen. (S. Ripienist.) – Endlich nennt man auch das in den Geigeninstrumenten [302] zwischen Boden und Deckel aufgerichtete Stäbchen, welches die Spannung jener und dadurch den Ton regulirt, sowie bei Pauken den kleinen Trichter über dem runden Loche an dem Paukenkessel Stimme.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 302-303.
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