Turnkunst

[504] Turnkunst oder Turnen sind die vom altdeutschen Worte »Turn«, sich drehen und wenden, hergenommenen, jetzt allgemein üblichen Bezeichnungen für die zuerst durch Basedow (s.d.) im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts wieder in den Kreis der Jugenderziehung gezogene Kunst der Leibesübungen, welche als Gymnastik (s. Gymnasium) einen so wesentlichen Theil der Erziehung der Alten ausmachte. Die Salzmann'sche Erziehungsanstalt gab zunächst für viele ähnliche Institute das Beispiel planmäßig angeordneter Leibesübungen, welche rein auf körperliche Ausbildung berechnet, im Laufen, Klettern, Springen, Schwimmen u.a. bestanden. Die Wahrheit des Satzes, daß für die gesunde kräftige Entwickelung der Seele ein gesunder und kräftiger Körper wesentliche Bedingung sei, verschaffte jenen Uebungen immer weitere Verbreitung; aber erst in der Zeit der Deutschland erniedrigenden Franzosenherrschaft erhielten sie eine Entwickelung und Bedeutung ähnlich der, welche die Gymnastik für Beförderung von Volkskraft und Volksthümlichkeit bei den Alten besaß, sowie den neuen Namen. Friedr. Ludw. Jahn (s.d.) erwarb sich das große Verdienst durch seine 1810 in Berlin mit Bewilligung der über seine Absichten völlig unterrichteten Behörden gegründete, öffentliche Turnanstalt das Beispiel gegeben zu haben, wie auf diese Art für Ermannung des Nationalbewußtseins und Belebung des Volksthümlichen gewirkt werden könne. Die von ihm angeordneten Übungen waren zum Theil auf Ausbildung tüchtiger Krieger ausdrücklich berechnet und als 1813 Preußen gegen den in Rußland gedemüthigten Napoleon zu den Waffen griff, blieben Jahn und seine Schüler am wenigsten zurück. Nach Beendigung der Kriege mit Frankreich ward seit 1815 das Turnen nicht blos in Berlin, wo Jahn vom Staate als Turnlehrer angestellt wurde, sondern auf den meisten Universitäten und Schulen eingeführt, erfuhr aber bald vielerlei Anfechtungen. Man warf den Turnplätzen Beförderung roher Sitte vor, was aber nur als ein vorübergehender Mangel anzusehen war, der hauptsächlich in einer vom Jugendmuthe etwas zu schroff dargelegten Abneigung gegen franz. Abgeschliffenheit bestand. Die Beruhigung der noch vom Kriege her aufgeregten Zeit und richtige Leitung würden Dem wol abgeholfen haben, die etwaige Gefahr bei einzelnen Übungen aber kam gegen ihren Nutzen nicht in Betracht. Allein auch als Pflanzstätten politischer Umtriebe wurden zuletzt die Turnanstalten verdächtigt und als angeblich wesentlich betheiligt bei den aufgespürten demagogischen Umtrieben in ganz Preußen 1819 geschlossen. Jahn selbst ward in Hast und Untersuchung genommen, in Hinsicht des ihm hauptsächlich Schuld Gegebenen jedoch freigesprochen; dessenungeachtet hörten die ihm wegen seines Aufenthaltsorts gemachten Beschränkungen erst 1839 nach dem Regierungsantritte Friedrich Wilhelm IV. auf. Allein früher schon fing man an, die Turnübungen zur körperlichen Ausbildung der Jugend wieder allgemeiner einzuführen und in England zuerst unter dem Namen Kallisthenie auch bei Erziehung des weiblichen Geschlechts zu benutzen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 504.
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