Umtriebe

[516] Umtriebe (demagogische und révolutionnaire) werden geheime Bestrebungen Einzelner oder geheimer Verbindungen genannt, welche dadurch auf ungesetzlichem Wege die bestehenden Formen von Staat und Regierung umzugestalten beabsichtigen. In Deutschland entwickelten sich dergleichen Umtriebe, als nach Beendigung des Befreiungskriegs der gewaltig aufgeregte Volksgeist seine mitunter freilich sehr enthusiastischen und den gegebenen Verhältnissen gegenüber, selbst der raschen Entwickelung gar nicht fähigen Erwartungen durch Das nicht in Erfüllung gehen sah, was vom wiener Congresse und nachher von den Fürsten zur Verwirklichung der in bedrängter Zeit gemachten Verheißungen gethan wurde. Der Unmuth darüber ward in Rede und Schrift laut und der Wunsch, zur veredelten Wiedergeburt des deutschen Volksthums beizutragen, mußte wol den wärmsten Anklang bei der gebildeten Jugend finden, für welche die Universitäten die natürlichen Vereinigungspunkte abgaben. Von ihnen aus gingen denn auch die begeisterten Bestrebungen, welche sich 1817 bei dem Feste auf der Wartburg (s.d.) auch in der Stiftung einer allgemeinen deutschen Burschenschaft aussprachen, die aber sofort auch das Ziel heftiger und zum Theil höchst unwürdiger Angriffe wurden. Diese gehässigen Anfeindungen erhitzten aber nur die jugendlichen Gemüther und entzündeten im Einzelnen einen Fanatismus, dessen schauerliche Frucht die Ermordung Kotzebue's (s.d.) durch den unglücklichen Sand (s.d.) war. So vereinzelt auch diese Unthat sich durch die darüber geführte Criminaluntersuchung herausstellte, ließ sie doch die Macht dadurch zum entschiedensten Widerstande gegen die ganze Richtung verleiten, aus der sie hervorging. Die Karlsbader Beschlüsse (s.d.) erfolgten 1819, und es ward zu Mainz eine Centraluntersuchungscommission niedergesetzt, welche die obere Leitung aller in den deutschen Bundesstaaten damals begonnenen und noch vorzunehmenden Untersuchungen wegen revolutionnairer Umtriebe führen sollte, um zu vollständiger Übersicht derselben zu kommen. Personen aus allen Ständen und von jedem Alter, Staatsbeamte, sowie Lehrer an Schulen und Universitäten, z.B. Jahn (s.d.), der erst 1810 seinem akademischen Lehramte zurückgegebene Ernst Moritz Arndt (s.d.) der in neuester Zeit als Vertheidiger des Papstthums und der röm.-katholischen Hierarchie aufgetretene Görres, Oken, Welcker, de Wette (s.d.) und Andere, wurden in diesen Proceß verwickelt und von ihren Lehrstühlen entfernt. Die meisten der Beschuldigten wurden indeß freigesprochen und 1828 auch jene Centraluntersuchungscommission aufgelöst, ohne daß ein ausführliches Ergebniß ihrer Arbeiten bekannt geworden ist. Jene Verfolgungen gefeierter Männer und daß schonungslos die ganze Richtung, nicht blos die Verirrungen derselben unterdrückt werden sollte, veranlaßte aber in seiner kränkenden Einwirkung auf das Rechtsgefühl der Jugend, daß sie widerstrebte, soweit sie vermochte, und anstatt der öffentlichen Burschenschaften unter den Studirenden geheime Verbindungen entstanden, die sich berufen hielten, sich mit dem Zustande Deutschlands zu beschäftigen. Aller Strenge ungeachtet, mit welcher die Theilnahme an denselben bestraft wurde, erhielten sich dieselben, und die der franz. Juliusrevolution in Deutschland folgenden Bewegungen gaben allen solchen Bestrebungen neue Nahrung. Aber auch unter dem Volke selbst war die politische Unbehaglichkeit im Stillen gewachsen und gelangte jetzt plötzlich in den Massen zum Bewußtsein. Daher fanden mehre, vom Bundestage später verbotene Schriften, die der Unzufriedenheit Worte liehen, so große Theilnahme, und bei dem bair. Constitutionsfeste, das am 27. Mai 1832 auf dem alten Schlosse Hambach (daher Hambacher Fest) bei Neustadt am Hardtgebirge in Rheinbaiern begangen wurde, wehte eine dreifarbige (schwarz, roth, goldene) Fahne mit der Inschrift »Deutschlands Wiedergeburt« auf der Schloßruine. An 30,000 Menschen, darunter auch eine Anzahl Franzosen und Polen, hatten sich von nah und fern dazu eingefunden und bei den dort gehaltenen Reden ward den vereinigten deutschen Freistaaten und dem conföderirten republikanischen Europa ein Lebehoch ausgebracht. Schon bestanden auch unter Männern geheime Verbindungen zu gewaltsamen politischen Veränderungen und als die Spitze der Verirrung, zu welcher jene Umtriebe führten, stellt sich endlich der am 15. Apr. 1833 zu Frankfurt a. M. Abends halb 10 Uhr von einigen hundert Menschen versuchte bewaffnete Aufstand dar, auf welchen man namentlich in Hessen, Rheinbaiern, Würtemberg und Baden vorzüglich vorbereitet war, im Fall er gelungen wäre. Allein schon nach Verlauf einer Stunde war die Ruhe völlig hergestellt und ein Theil der Aufrührer ward noch in derselben Nacht verhaftet. Eine neue Bundes-Centralbehörde wurde durch Bundesschluß vom 20. Jun. 1833 für die zu führenden Untersuchungen eingesetzt, deren auf mehren Universitäten und in Würtemberg auch gegen Militairpersonen eröffnet wurden und deren Hauptresultate dieselbe in einer, im Oct. 1839 in der Bundes-Präsidial-Druckerei herausgegebenen amtlichen Schrift veröffentlichte, nachdem der größere Theil der Verurtheilten seine Strafe entweder überstanden, derselben theilweise durch Begnadigung überhoben ist oder auch durch gestattete Auswanderung nach Amerika die Freiheit erhalten hat. In Folge des Aufstandes in Frankfurt a. M., sowie auch früher schon und später ebenfalls noch aus besondern Gründen, hatte eine Anzahl junger Männer eine Freistätte im Auslande und meist in der Schweiz gesucht. Hier begegneten sie andern politischen Flüchtlingen und Verbannten, besonders aus Italien und Polen, und das verwandte Schicksal brachte ganz natürlich einen nähern Verkehr unter diesen politischen Auswanderern[516] verschiedener Nationen zuwege, aus welchem neue Umtriebe und geheime Verbindungen hervorgingen, die man als ein sogenanntes »junges Europa« in Zusammenhang bringen zu können glaubte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 516-517.
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