Waisen

[640] Waisen sind Kinder und vor erreichter Volljährigkeit ihrer Ältern durch den Tod beraubte junge Leute, welche als Unmündige hinsichtlich ihrer Erhaltung und Erziehung dem Staate als Obervormunde zufallen, wenn sich Niemand anders ihrer annimmt. Zur unentgeltlichen Aufnahme solcher Verlassener sind die Waisenhäuser als öffentliche Anstalten da, in welchen sie Unterhalt, Pflege und die zu ihrem spätern Fortkommen in der Welt nöthige Erziehung erhalten. Nachdem man früher ganz hülfsbedürftige Waisen bei einzelnen Familien gegen Kostgeld zu versorgen gesucht hatte, wurden in Deutschland zuerst in den Reichsstädten seit dem 16. Jahrh. öffentliche Anstalten zu ihrer Verpflegung errichtet. Später erwarben sich bemittelte und unbemittelte Menschenfreunde (s. A. H. Francke, I. D. Falk) große Verdienste um die Waisenerziehung und Versorgung. Wovon man aber früher abging, nämlich das vereinzelte Unterbringen der Waisen in Familien, das grade hat sich sowol in Hinsicht der Erfolge am leiblichen und geistigen Gedeihen der Pfleglinge, wie in Bezug auf Ersparnisse am Aufwande für dieselben, bei angemessener Auswahl und Beaufsichtigung der Pflegeältern vortheilhafter herausstellt, als die gemeinsame Erziehung einer Menge Kinder in einem Waisenhause. Die Leitung derselben ist viel schwieriger, und besonders nachtheilig ist es, wenn, wie es oft vorkommt, mit den Waisenhäusern auch Anstalten für Sträflinge, Vagabunden, Geisteskranke, preßhafte Arme verbunden sind. Manche Waisenhäuser unterstützen ihre Pfleglinge, wenn sie sich durch gutes Betragen dessen werth machen, auch bis zu einem [640] gewissen Alter nach der Entlassung aus der Anstalt. In neuerer Zeit sind auch Waisenhäuser für vaterlose Kinder gewisser Stände, namentlich der Soldaten, gegründet worden. Sie heißen Militairwaisenhäuser und erziehen ihre Pfleglinge wieder für den Dienst im Heere; in Preußen bestehen dergleichen zu Potsdam und zu Annaburg.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 640-641.
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