Jean Paul Friedrich Richter

[398] Jean Paul Friedrich Richter, der originellste unter den Klassikern unsrer Literatur, dessen starker Geist mit dem wunderbarsten Reichthum und einer unendlichen, herrlichen Tiefe alle die großen Accorde des Universums auffaßte und in den geistreichsten Dichtungen verkörperte, die sämmtlich von dem Gepräge der erhabensten Sittlichkeit geschmückt werden und bei allen Auswüchsen einer bunt durch einander wuchernden, ungezügelt schöpferischen Phantasie niemals und nirgends das klare, nach einer höhern Welt gerichtete Gemüth verläugnen, war am 2. März 1763 zu Wunsiedel im Fürstenthume Baireuth als der Sohn eines Schullehrers geboren. Schon als Kind zeichnete ihn jene Lernbegierde aus, mit der er während seines ganzen Lebens zahllose Kollektaneen zusammentrug, und dadurch einen staunenswerthen, vielleicht beispiellosen Schatz des verschiedenartigsten Wissens in sich aufhäufte. Nach einer tüchtigen Vorbildung, die er im Gymnasium zu Hof empfangen hatte, bezog er die Universität zu Leipzig, um die Gottesgelahrheit zu studiren; sein dichterischer, süß schwärmender Geist aber konnte diesem Studium keine Neigung abgewinnen, und bald war in ihm der Entschluß gereist, sich der schriftstellerischen Laufbahn zu widmen, die er mit den »Grönländischen Prozessen« begann. Die »unsichtbare Loge« verschaffte ihm zuerst eine allgemeine Anerkennung, die Bekanntschaft mit Gleim, Herder u. A. und die Freundschaft seines Otto, in welchem er bis an sein Ende den treusten Rathgeber, den innigsten Vertrauten aller seiner literarischen Angelegenheiten fand. Nach seiner Verheirathung mit Karoline Mayer aus Berlin lebte er abwechselnd in Meiningen, Koburg, Weimar und Baireuth, bis er den letzten Ort zu seinem bleibenden Wohnsitze wählte. Die letzten Lebensjahre verleidete ihm ein anhaltendes Augenübel, bis zu seinem Tode aber, der am 14. Novbr. 1825 erfolgte, war er unausgesetzt beschäftigt und gab in[398] dem Zeitraum von dreißig Jahren jene Reihe von Meisterwerken, die seinen Namen als den des genialsten Humoristen für ew'ge Zeiten aufbewahren müssen. Wir erwähnen vor Allem »Hesperus,« »Quintus Fixlein,« »Titan,« die »Flegeljahre« und »Katzenberger's Badereise.« Nie hat ein Schriftsteller, wie er, die Tiefen des menschlichen Herzens durchdrungen, seine Vorzüge und Schwächen, wie er, in der geheimsten Werkstatt der Natur belauscht. Zu der »Vorschule der Aesthetik,« Jean Paul's erstem philosophischen Werke, gesellte sich in der »Levana« ein Strauß der herrlichsten Erziehungsblumen; dann wandte sich sein zu den heitern Regionen der Kunst unablässig zurückkehrender Geistessittig zu dem sinnigen Stillleben seines »Fibel,« und versuchte sich dann mit demselben Glück im Felde der politischen Zeitgeschichte mit der »Friedenspredigt« und den »politischen Fastenpredigten.« Trotz dem, daß der häufige Gebrauch seiner vielartigen Kenntnisse, die Jean Paul mit der seltensten Gedächtnißstärke auf jeder Seite anwendet, ist seine Sprache kräftig, edel, dichterisch, nur sein verwickelter Periodenbau und seine gesuchten Vergleichungen und Bilder erschweren nicht selten das Verständniß seiner Schriften, die in 60 Bänden bei Reimer in Berlin erschienen sind.

T.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 5. [o.O.] 1835, S. 398-399.
Lizenz:
Faksimiles:
398 | 399
Kategorien: