Horatius Flaccus

[346] Horatius Flaccus, Quintus, der ausgezeichnetste altröm. Dichter, war der 65 v. Chr. zu Venusia in Apulien geb. Sohn eines Freigelassenen, welcher ihm eine vortreffliche Erziehung angedeihen ließ, bildete sich zu Rom und Athen aus, focht auf Brutus Seite als Tribun bei Philippi 42 v. Chr., erlangte in Rom durch Octavian Amnestie und die Stelle eines Quästurschreibers. Bald gewann er durch vortrefflich geschriebene Satiren hohe Gönner und als Virgil u. Varius ihn bei Mäcenas einführten, war sein Glück gemacht. Er mißbrauchte die Gunst der Großen niemals, lebte in spätern Jahren meist auf seinem Landgute Sabinum, nördlich von Tibur, und st. 9 v. Chr. Er hat uns hinterlassen: 103 Oden in 4 B., worin ausgezeichnete Männer verherrlichet, praktische Lebensweisheit oder vielmehr Lebensklugheit gelehrt, Wein, Weib u. Gesang besungen werden; 17 Epoden, die man füglich den Oden als 5. Buch beizählt; 18 Satiren in 2 B. und 12 Episteln in 2 B. (als Sermones häufig zusammengestellt und durch die Uebersetzung und Erläuterung d. geistesverwandten Wieland, Leipzig 1786 u. öfters, gewissermaßen zum geistigen Eigenthum der Gebildeten unserer Zeit geworden); endlich ein Carmen saeculare, zu den Oden gehörig und die lehr- und einflußreiche Ars poetica, welche den Pisonen gewidmet ist und häufig als 3. B. der Episteln betrachtet wird. Ueber die Person und Gedichte des H. ist schon endlos viel geschrieben und geredet worden; während er Abgott der meisten Philologen war und diese neuestens sogar entdeckten, daß er niemals geschmeichelt habe, hat ihn E. Lessing gegen Vorwürfe der gröbsten Unsittlichkeit vertheidigen müssen. Sicher bleibt: 1. daß das Urtheil über H. ziemlich ungünstig lauten muß, wenn man ihn nur vom christlichen Standpunkte aus betrachtet, äußerst günstig, wenn man in ihm nur den klugen Römer der augusteischen Zeit berücksichtiget; 2. daß er lediglich in der Satire originell, sonst aber, namentlich in den meisten Oden, ein Nachahmer der Griechen ist. jedoch ein Nachahmer von solchem Geiste und solcher Meisterschaft der Form, daß er uns über den Verlust seiner griech. Urbilder leicht zu trösten [346] vermag; 3. endlich, daß er kein Römer von altem Schrot und Korn oder ein tiefes speculatives Talent, sondern eben ein praktischer Lebemann und Hofpoet gewesen ist. Unter zahllosen Ausgaben nennen wir nur die erste, Mailand 1470, 4., dann die kritischen von Bentley und Fea, andere von Heinsius, Baxter, Geßner, Mitscherlich, Heindorf, Orelli; unter den Uebersetzungen ist die metrische von J. H. Voß ganz ungenießbar, besser sind die von Strodtmann (Leipzig 1852) und Günther (ebend. 1830, 2. Aufl. 1854).

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 346-347.
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