Kreuzzüge

[660] Kreuzzüge, die Unternehmungen des christlichen Abendlandes vom 11. bis Schluß des 13. Jahrh. um Palästina den Moslemin zu entreißen. Der Gedanke fand sich schon im 10. Jahrh., konnte aber erst am Ende des 11. zur That werden, als die christlichen Staaten des Abendlandes befestigt waren. Die K. sind nichts anderes als die Erhebung der christlichen Nationen gegen das Umsichgreifen der Mohammedaner, das durch die türk. Stämme zu einer wahren Verbreitung der Barbarei wurde; daß die Befreiung des heil. Landes zunächst das christliche Feldgeschrei wurde, ist aus der alten Pietät gegen die Stätten, welche Christus während seines irdischen Lebens durch seine Gegenwart heiligte, ebenso erklärlich als es unsern Vorfahren Ehre macht. Den ersten tumultuarischen Zug veranlaßte Peter von Amiens (s. d.) durch seine Predigten 1094, der aber schon in Kleinasien vollständig scheiterte. Besser geordnet war der von 1096, den Gottfried von Bouillon anführte u. der hauptsächlich aus Franzosen u. Rheinländern bestand. Er ging über Konstantinopel nach Kleinasien u. Syrien, Nicäa, Antiochia und Jerusalem (am 15. Juni 1099) wurden erobert und in Antiochia, Edessa u. Jerusalem größere [660] Fürstenthümer nach dem Muster der abendländischen Feudalstaaten errichtet. Es zeigte sich jedoch schon damals, daß Lateiner und Griechen, die europ. wie die asiat., einander abstoßen; die Feindseligkeit der Griechen gegen die Abendländer trug auch zum Untergange der latein. Fürstenthümer in Asien kaum weniger bei als der kriegerische, fanatische Muth der Moslemin. Die kleinern u. größern Schaaren, welche unter abendländischen Herren fortwährend anlangten und wenigstens einige Wochen gegen den Feind dienten, sowie die geistlichen Ritterorden vermochten den Mangel an einer einheimischen, aus der Bevölkerung des Landes bestehenden Heeresmacht nicht zu ersetzen und das Vorrücken der Türken nachhaltig zu hemmen. Diese nahmen 1144 Edessa, worauf die Beredsamkeit des hl. Bernhard den König Ludwig VII. von Frankreich und Konrad III. von Deutschland zu einem Kreuzzuge vermochte (1147), der vollständig mißlang. Als Saladin 1187 Jerusalem eroberte, nahmen Kaiser Friedrich I., König Philipp August von Frankreich und Richard Löwenherz von England das Kreuz (1189 u. 1191), aber selbst diese gewaltige Anstrengung brachte nur St. Jean dʼAcre wieder in die Hände der Christen. Ein ungar. u. deutsches Kreuzheer eroberte 1196 nur einige unbedeutende Plätze, ein franz.-venetian. wandte sich gegen Konstantinopel, das 1204 erstürmt und die Hauptstadt eines kurzdauernden lat. Kaiserthums wurde. Ein neuer ungar.-deutscher Heerzug beschränkte sich abermals auf unbedeutende Erfolge in Palästina selbst; das wichtige Damiette in Aegypten, das nach unsäglicher Anstrengung 1219 erobert wurde, ging schon 1221 wieder verloren. Kaiser Friedrich II. gewann 1228 die hl. Stätten durch Unterhandlungen abermals, sie blieben aber den Christen nur wenige Jahre. Am unglücklichsten war der franz. König Ludwig IX.; er richtete aus ganz guten Gründen seine Unternehmung 1248 gegen Aegypten, ohne welches Palästina noch nie behauptet worden ist, aber er wurde geschlagen, gefangen u. mußte sich mit großen Opfern loskaufen. Ludwigs IX. Angriff auf Tunis, vor welcher Stadt er 1270 st., kann kaum zu den K.n gerechnet werden. Mit St. Jean dʼAcre, das 1292 von den Mamelucken erstürmt wurde, fiel die letzte christliche Besitzung auf dem Festlande in die Hände der Moslemin und obwohl die Päpste noch lange zu einem neuen Kreuzzuge aufforderten und manche Fürsten wenigstens bedingungsweise zusagten, kam keiner mehr zu Stande, nicht einmal zur Rettung Konstantinopels, der östl. Vormauer der europ. Christenheit. Die K. regten als eine europ. Bewegung alle christlichen Völker in der Tiefe auf; sie schufen die 3 geistlichen Ritterorden und überhaupt die Blüte des Ritterwesens, beförderten das Emporkommen der Städte u. trugen wesentlich zur Gründung der Macht Venedigs und Genuas bei; der Verkehr mit dem Oriente konnte auch nicht ohne Einfluß auf die abendländ. Wissenschaft u. Kunst bleiben, obwohl die Einwirkung der sicil. u. span. Moslemin das Meiste in dieser Beziehung gethan haben mag.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 660-661.
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