Kreuzzüge

[656] Kreuzzüge, die von den christlichen Völkern des Abendlandes seit dem Ende des 11. bis gegen Ende des 13. Jahrh. zur Eroberung und Behauptung Palästinas unternommenen Kriegszüge, so genannt von dem roten Kreuz von Zeug, das die Teilnehmer an den Zügen, die Kreuzfahrer, unter Beziehung auf Luk. 14,27 auf der rechten Schulter trugen. Sie sind im wesentlichen hervorgegangen aus dem durch den Gregorianismus erweckten kirchlichen Eifer und wurden begünstigt durch die vielen wirtschaftlichen Notstände, die in den zwischen Deutschland und Frankreich gelegenen Ländern herrschten, so daß viele Tausende sich ausmachten, nicht nur um Ablaß zu gewinnen und das heilige Land den Ungläubigen zu entreißen, sondern auch um dem Elend der Heimat zu entfliehen und irdische Vorteile zu erlangen.

Schon vor Konstantin d. Gr., der in Jerusalem und andern Städten Palästinas Kirchen und Kapellen wiederherstellte oder neu erbaute, war es im Abendland Sitte geworden, dorthin zu pilgern, und die Kalifen beförderten diese Besuche, die Geld und fremde Waren ins Land brachten, und gestatteten den Pilgern, Kirchen und Herbergen zu bauen. Als aber Palästina 1076 unter die Herrschaft der Seldschuken geriet, begannen harte Bedrückungen, so daß seitdem die traurigsten Nachrichten über Entweihung der heiligen Orte und Mißhandlung der Pilger nach dem Abendland kamen, während zugleich auch Kaiser Alexios I. um Hilfe gegen die Seldschuken bat. Urban II., von der gregorianischen Partei gewählt, schenkte diesen Beschwerden um so lieber Gehör, als dadurch seine noch bestrittene Führerstellung gegenüber dem »kaiserlichen« Papst und die Macht der Tiara gesichert, ja gesteigert werden mußte. Auf dem Konzil von Piacenza (1.–7. März 1095) versprach er dem Kaiser Hilfe, auf dem von Clermont (18.–27. Nov. 1095) rief er die Anwesenden aber nicht zur Verteidigung des griechischen Kaiserreiches, sondern zur Eroberung Jerusalems und des Heiligen Landes auf; der Ruf »Deus lo volt« (Gott will es) erscholl hier als Antwort und ward die Losung des ganzen Zuges. Die [656] Begeisterung ward besonders durch Peter von Amiens in den Grenzlanden zwischen Deutschland und Frankreich weiter geweckt, während im erstern, wo Bürgerkrieg herrschte, wenig sich rührte; nur aus Schwaben kamen starke Scharen. Noch vor dem festgestellten Ausbruchstermin (15. Aug. 1096) machten sich Haufen von Bauern unter Walter Habenichts, Gottschalk, Graf Emicho von Leiningen u. a. auf, die, nachdem sie auf ihrem Marsche die Juden massakriert hatten, für ihre Zuchtlosigkeit in Ungarn fast völlig aufgerieben wurden. Peter von Amiens brachte seine Scharen leidlich bis nach Konstantinopel; als sie aber auf dem kleinasiatischen Ufer einen Vorstoß in der Richtung auf Nicäa unternahmen, wurden sie größtenteils vernichtet (21. Okt. 1096).

Das Hauptheer, wohl über 100,000 Mann stark, trat seinen Marsch im August 1096 an, geführt von Gottfried von Bouillon, Herzog von Niederlothringen, dem seine Brüder Balduin und Eustach sich anschlossen, und gelangte durch Ungarn glücklich nach Konstantinopel (23. Dez. 1096), wo allmählich sich auch die übrigen Scharen unter den Grafen Hugo von Vermandois, Stephan von Chartres, Robert von Flandern, Raimund von Toulouse (in dessen Nähe auch der päpstliche Legat Bischof Ademar v. Puy sich befand), dem Herzog Robert von der Normandie und den Fürsten Bohemund von Tarent und Tancred einfanden, die teils von Apulien, teils durch Slawonien (so Graf Raimund) über Durazzo gekommen waren. Alexios wußte die Führer zur Leistung des Lehnseides und zu dem Versprechen zu bestimmen, alle ehemaligen römischen Länder nach ihrer Eroberung zurückzugeben, und setzte das Heer über den Bosporus. Nach der glücklichen Eroberung Nicäas (19. Juni), das Alexios besetzen ließ, ward das Heer des Sultans vor Ikonion nicht weit von Dorylaion (1. Juli) geschlagen, bald darauf Antiochien eingeschlossen (20. Okt. 1097), durch Verrat genommen (3. Juni 1098) und gegen das feindliche Entsatzheer unter Kerbogha von Mosul siegreich behauptet, da (28. Juni) die Auffindung der »heiligen Lanze« die Christen wunderbar begeistert hatte; Bohemund wußte seine Ansprüche auf den Besitz der Stadt zu sichern. Am 7. Juni erschien das Heer, ca. 30,000 Mann stark, vor Jerusalem, das kurz vorher der ägyptische Wesir Malik el-afdhal den Seldschuken wieder entrissen hatte, und eroberte es (15. Juli 1099); am 12. Aug. ward der Wesir bei Askalon geschlagen. Herzog Gottfried wurde zum König gewählt (22. Juli), lehnte aber diesen Titel ab und nannte sich nur »Beschützer des heiligen Grabes«; ihm folgten als Könige Balduin I. und Balduin II. (s. d.).

Unterdessen hatten auf die Nachricht von diesem glücklichen Verlauf des ersten Kreuzzuges 1101 ein neues Heer unter dem Herzog Welf von Bayern in Deutschland und zwei andre in Italien und Frankreich, zusammen an 260,000 Mann, sich nach Kleinasien in Bewegung gesetzt, um Bohemund in Siwas zu befreien, dann aber Bagdad zu erobern, gingen jedoch in Kleinasien im Juli nach heftigen Kämpfen meist durch das Schwert der Seldschuken zugrunde.

Den zweiten Kreuzzug veranlaßte die am 23. Dez. 1143 erfolgte Eroberung Edessas durch den Atabeken Imad ed-din Zenki. Papst Eugen III. ließ hierauf von Vezelay aus einen Ausruf zu einem neuen Kreuzzug ergehen, und Abt Bernhard von Clairvaux wußte durch seine unwiderstehliche Beredsamkeit nicht nur König Ludwig VII. von Frankreich, sondern auf einem Reichstage zu Speyer 1146 auch den der Sache wenig geneigten Kaiser Konrad III. für eine Kreuzfahrt zu gewinnen. Beide Heere, zusammen etwa 140,000 geharnischte Reiter, brachen 1147 auf und zogen durch Ungarn über Konstantinopel nach Kleinasien. Die Deutschen wählten den kürzesten Weg durch das Reich Ikonion, erlitten aber mehr durch unvorsichtige Teilung, so besonders die Scharen unter Otto von Freising, und schlechte Verpflegung als durch die Schuld des griechischen Kaisers Manuel und durch einen Überfall des Sultans von Ikonion so große Verluste, daß, nur etwa der zehnte Teil den Rückzug nach Nicäa antrat. Ludwig war an der Küste entlang gegangen und von Pamphylien nach Antiochia gesegelt, wo er sich mit dem deutschen König Konrad III. vereinigte. Nachdem der Plan, Edessa zu erobern, aufgegeben war, machte man einen Angriff auf Damaskus (24.–28. Juli 1148), der aber, hauptsächlich infolge des Verrats der syrischen Fürsten, scheiterte. Hierauf kehrten die beiden Könige nach Europa zurück.

Die Veranlassung zum dritten Kreuzzug (1189 bis 1193) war die Eroberung von Jerusalem 2. Okt. 1187 durch Saladin, den mächtigen Sultan von Ägypten. Es beteiligten sich an demselben Kaiser Friedrich I. Barbarossa sowie die Könige von Frankreich und England, Philipp II. Augustus und Richard Löwenherz. Friedrich brach zuerst auf mit einem Heere, das unterwegs durch Zuzüge bis auf 100,000 Mann anwuchs; er wählte den Weg längs der Donau und hatte unterwegs die Ränke des argwöhnischen griechischen Kaisers Isaak Angelos zu bekämpfen, den erst die Einnahme Adrianopels bewog, ihm freien Durchzug und die Überfahrt nach Kleinasien zu gestatten. Hier schlug er in zwei Schlachten, bei Philomelion (7. Mai) und bei Ikonion (18. Mai), das Heer des Sultans von Ikonion, fand aber bald darauf (10. Juni) im Fluß Kalykadnos (Saleph) seinen Tod. Sein Sohn Friedrich, der tapfere Schwabenherzog, führte zwar das Heer weiter über Antiochia nach Akkon, wo er die übrigen Kreuzritter fand, starb aber schon 20. Jan. 1191. Die Stadt Akkon wurde von den beiden Königen, die unterdessen zur See angekommen waren, nach fast zweijähriger Verteidigung 12. Juli 1191 durch Kapitulation genommen. Streitigkeiten über die Beute und angebliche Krankheit bewogen kurz nach der Einnahme den französischen König, in seine Heimat zurückzukehren. Richard blieb zurück; aber an der Hoffnung, Jerusalem zu erobern, verzweifelnd, schloß er 1. Sept. 1192 mit Saladin einen Waffenstillstand auf drei Jahre und drei Monate, wonach dieser zwar im Besitz von Jerusalem bleiben, dagegen den Christen die Küste von Tyros bis Jaffa und die Hälfte des Gebiets von Ramla und Lydda gehören und der Besuch des Heiligen Grabes erlaubt sein sollte.

Der sogen. vierte Kreuzzug (1202–04) hatte ursprünglich Ägypten zum Ziel. Die Teilnehmer aber ließen sich von den Venezianern, welche die Überfahrt übernommen hatten, bewegen, dazu behilflich zu sein, Zara zu erobern und den vertriebenen Isaak Angelos wieder auf den griechischen Kaiserthron zu setzen. Dies gelang, Isaak starb aber bald, und nun setzten die Kreuzfahrer den Krieg weiter fort; Konstantinopel wurde mit Sturm genommen, Graf Balduin von Flandern zum Kaiser gewählt und so das lateinische Kaisertum errichtet, das jedoch nur 57 Jahre (1204–6 1) bestand. Sehen wir von dem abenteuerlichen Kreuzzug der Kinder 1212, von den schließlich erfolglosen Zügen des Königs Andreas II. von Ungarn nach Syrien (1217–18) und eines[657] großen Heeres gegen Ägypten (1218–22) ab, so folgt als fünfter Kreuzzug der Zug Friedrichs II. 1228–29. Er fand hierbei trotz des päpstlichen Verbots durch die Bemühung des Hochmeisters des Deutschen Ordens, Hermann von Salza, Unterstützung bei den Ordensrittern, erlangte von dem ägyptischen Sultan Malik el-Kamel einen zehnjährigen Waffenstillstand, den Besitz Jerusalems und eines ziemlich ausgedehnten Landstrichs; in der heiligen Grabeskirche krönte er sich selbst zum König (18. März 1229). Jerusalem ging (Ende) 1239 schon wieder verloren, ward 1240 an den Grafen Richard von Cornwallis zurückgegeben, aber (im Herbst) 1244 von den Ägyptern wieder erobert. Deshalb unternahm Ludwig IX. der Heilige, König von Frankreich, den sechsten Kreuzzug (1248–54). Er besetzte 1249 Damiette in Ägypten, wurde aber bei weiterm Vordringen bei el-Mansura besiegt und geriet fast mit dem ganzen Heer in Gefangenschaft. Gegen die Räumung Damiettes und die Zahlung eines schweren Lösegeldes erhielt er die Freiheit wieder und verweilte darauf, mit der Sicherung der christlichen Besitzungen in Palästina beschäftigt, in Akkon, bis ihn der Tod seiner Mutter Blanka, Regentin von Frankreich, zurückrief. Weil dieser Kreuzzug ohne Erfolg geblieben war, unternahm er 1270 den siebenten Kreuzzug zunächst nach Tunis, angeblich in der Hoffnung, daß der Fürst dieses Landes Christ werden wolle, in Wirklichkeit aber, um Tunis für seinen Bruder Karl I. von Sizilien (s. Karl 39) zu erobern. Vor dieser Stadt rafften ansteckende Krankheiten den größten Teil seines Heeres und ihn selbst (25. Aug.) hin, während er auf die Ankunft seines Bruders wartete. Am 18. Mai 1291 fiel Akkon, die letzte wichtige Besitzung der Christen, trotz tapferer Verteidigung durch die Tempelherren und Johanniter in die Hände der Muslime und bald darauf auch die letzten ihnen noch gebliebenen Plätze.

So endigten die K., die ihren eigentlichen Zweck zwar verfehlten, aber doch nicht ohne tief eingreifende und umfassende Folgen waren. Sie erweiterten einerseits die Macht und das Ansehen der Päpste, ihrer ersten Urheber, anderseits die Hausmacht der Fürsten durch Erledigung vieler Lehen, deren Inhaber auf den Zügen ihren Untergang gefunden hatten; sie begründeten das Entstehen bürgerlicher Gemeinden, die sich von ihren in Geldnot sich befindenden Herren eine Freiheit nach der andern erkauften; sie beförderten das Aufkommen eines freien Bauernstandes, indem viele Leibeigne, um die Freiheit zu erlangen, das Kreuz nahmen und nun der Ackerbau freien Leuten übertragen wurde; sie gaben dem Handel, besonders seit der Eroberung von Konstantinopel, neue Richtungen, erweiterten die geographischen Kenntnisse, förderten die Poesie, indem sie ihr Stoff darboten, bildeten endlich den weltlichen Ritterstand aus, die schönste Erscheinung des Mittelalters, und veranlaßten die Stiftung der drei geistlichen Ritterorden der Johanniter, der Templer und der Deutschordensbrüder. Vgl. Wilken, Geschichte der K. nach morgenländischen und abendländischen Berichten (Leipz. 1807 bis 1832, 7 Bde.); Michaud, Histoire des croisades (neueste Ausg. 1874, 4 Bde.; deutsch, nach der 4. Aufl, Quedlinb. 1827–32, 7 Bde.) und Bibliothèque des croisades (Par. 1830, 4 Bde.); B. Kugler, Geschichte der K. (2. Aufl., Berl. 1891); Röhricht, Geschichte der K. im Umriß (Innsbr. 1898); Prutz, Kulturgeschichte der K. (Berl. 1883); Henne am Rhyn, Die K. und die Kultur ihrer Zeit (2. Aufl., Leipz. 1885) und Kulturgeschichte der K. (das. 1894); Heyck, Die K. und das Heilige Land (Bielef. 1900); Heeren, Versuch einer Entwickelung der Folgen der K. für Europa (Götting. 1808); Sybel, Geschichte des ersten Kreuzzugs (2. Aufl., Leipz. 1881); Hagenmeyer, Peter, der Eremite (das. 1879); Röhricht, Geschichte des ersten Kreuzzugs (Innsbr. 1901); »Epistulae et chartae ad historiam primi belli sacri spectantes« (hrsg. von Hagenmeyer, das. 1901); Kugler, Studien zur Geschichte des zweiten Kreuzzugs (Stuttg. 1866); Röhricht, Beiträge zur Geschichte der K. (Berl. 1874–78, 2 Bde.), Die Deutschen im Heiligen Lande (das. 1894), Regesta regni Hierosolymitani (Innsbr. 1893), Studien zur Geschichte des fünften Kreuzzugs (das. 1891) und Geschichte des Königreichs Jerusalem (das. 1897); Riant, Expéditions et pélerinages des Scandinaves en Terre Sainte an temps des croisades (Par. 1865); Sternfeld, Ludwigs des Heiligen Kreuzzug gegen Tunis (Berl. 1896); Gottlob, Die päpstlichen Kreuzzugssteuern des 13. Jahrhunderts (Heiligenst. 1892); das von der Akademie der Inschriften in Paris seit 1841 herausgegebene Quellenwerk »Recueil des historiens des croisades« (bis 1901: 15 Bde.); die Publikationen der Société l'Orient Latin in Paris u. a.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 656-658.
Lizenz:
Faksimiles:
656 | 657 | 658
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon