Titel [1]

[576] Titel (lat. titulus, franz. titre), Bezeichnung des Amtes, der Würde und des Ranges einer Person, daher Standes-, Ehren-, Amtstitel. Ein ausgebildetes Rang- und Titelsystem gehört seit alten Zeiten zu den Eigentümlichkeiten des Militärwesens und Beamtentums, besonders der monarchisch regierten Länder. Die altägyptischen Könige begabten sich auf ihren Bau- und Denkmalsinschriften mit schier endlosen Titeln, und noch als Abglanz der alten Götterherrlichkeit erscheint Kaiser Nero (nach Dümichen) als Bauherr des Tempels von Denderah in einer Inschrift als »der von der Hathor mit Leben beschenkte gnädige Horus, der Sohn der Hathor« etc. In den orientalischen Ländern lebt diese groteske Titelwut noch heute fort, während in Europa solche Ungeheuerlichkeiten nur am Hofe von Byzanz Eingang fanden, wo Konstantin d. Gr. ein wunderliches Titulaturenwesen schuf. An der Spitze der politischen Hierarchie stand »unsre Göttlichkeit« (Divinitas), d. h. der Kaiser, andre T. müssen als »Eure Aufrichtigkeit«, »Eure Gravität«, »Eure Exzellenz«, »Eure Eminenz«, »Eure erhabene und wunderbare Größe« etc. übersetzt werden. Die Anrede an den Kaiser begann mit »Eure Ewigkeit« (»Vestra Aeternitas«) oder »Eure Unvergänglichkeit« (»Vestra Perpetuitas«). In den Stürmen der Völkerwanderung gingen die meisten dieser Prädikate wieder unter, und der T. »Seine Majestät«, den schon die altrömischen Kaiser geführt hatten, wurde in Deutschland erst von Karl V., in Frankreich von Ludwig XI. und in England von Heinrich VIII. wieder aufgenommen. Ebenso fanden sich viele andre Ämter und T. mit dem wachsenden Glanz der Fürstenhöfe und dem Reichtum der Städte wieder ein. Die Stände hatten sich bei den Sachsen und Franken ursprünglich in Edelinge (Adlige), Frilinge (Freiherren), Lassi (Freigelassene) und Unfreie unterschieden, von denen nur den ersten beiden Anredetitel (Strenui, Gestrenge, und Validi, Feste) zukamen; aber bald gingen diese T. auf Bürgerliche über, und es kam für den Adel der Erstgeburtstitel des »Ältern« (Senior, franz. Seigneur, ital. Signor) auf, woraus später die Königs- und Lordstikel Sire und Sir entstanden. Die Stadtoberhäupter, Ratspersonen und Gelehrte ließen sich von der kaiserlichen Hofkanzlei gegen klingendes Gold die Prädikate Magnifizenz, Munifizenz, Amplissimus, Wohledle, Hochweise, Hochgelehrte, Großgünstige Herren etc. verbriefen. Das Unwesen stieg durch seine »Allerchristlichste Majestät« König Ludwig XIV. von Frankreich aufs höchste. Dabei aber fand eine beständige Entwertung der T. statt. So hatte das Prädikat Exzellenz ursprünglich nur der Kaiser geführt, später nahmen es auch die Herzoge und die Kurfürsten erst für sich selbst und dann auch für ihre ersten Beamten in Anspruch, während Kaiser und Herzoge diese Prädikate ablegten. Im Mittelalter war »Hauptmann« T. des obersten Heerführers gewesen, nun schuf man mehrere Hauptmannsstellen, anderen Spitze ein »Oberster Hauptmann« trat, woraus der Oberst entstand, dann kamen mehrere Oberste zur Ernennung, an deren Spitze ein Generaloberster trat, der schließlich General genannt wurde und seine Würde wieder einem Generalissimus abtreten mußte. Natürlich wollte der weibliche Teil nicht zurückbleiben. Frau und Jungfrau wollten nicht mehr zusagen, und man verlangte als Anrede Madame und Mademoiselle, die am Hofe Ludwigs XVI. einen königlichen Klang erlangt hatten, sofern die Töchter des Königs von ihrer Geburt an Madame hießen. Um die Mitte des 18. Jahrh. verlangten die Gelehrten die Anrede »Hochgelahrt«, die Geistlichen »Hochehrwürden«, die Adligen »Hochwohlgeboren« und die Bürger »Wohlgeboren«, die Kaufleute wollten »Wohlehrenfest«, »Wohlfürnehm« und »Großedel«, die Schulmeister »Großachtbar« und »Wohlgelahrt« und selbst gewöhnliche Handwerker »Ehrsam« und »Namhaft« angeredet werden. In Preußen, wo noch unter seinem ersten König das Titelwesen üppig ins Kraut geschossen war, gab Friedrich Wilhelm I. ein würdiges Vorbild in der Nichtachtung dieser Äußerlichkeiten, und Friedrich d. Gr. trat auch in die Fußstapfen seines Vaters und stellte manches in Preußen ab, was noch lange in andern Ländern fortwucherte; doch blieben auch hier im amtlichen Verkehr noch viele Floskeln übrig, von denen manche der neuern Zeit zum Opfer gefallen sind. Von allen jenen ältern Titeln und Prädikaten sind heute nur eine beschränkte Anzahl in Gebrauch geblieben, wie »Seine Heiligkeit« für den Papst, »Seine Majestät« für regierende Kaiser und Könige, »Seine Hoheit« für regierende Herzoge und deren nächste Angehörigen, »Seine Durchlaucht« für die Fürsten mit und ohne Regierungsgewalt sowie für die mediatisierten und Titularherzöge, »Seine Erlaucht« für die gräflichen Standesherren, »Seine Exzellenz« für die Minister und Räte erster Klasse, »Seine Magnifizenz« für Universitätsrektoren und Oberbürgermeister und die Briefprädikate »Hochgeboren«, »Hochwohlgeboren« und »Wohlgeboren«, von denen das erstere von den Grafen, das zweite von dem übrigen Adel, den Offizieren und höhern Beamten, Gelehrten und gleichgestellten Personen, das letztere von allen übrigen Gesellschaftsklassen in Anspruch genommen wird, ebenso wie »Hochwürden« »Hochehrwürden« und »Ehrwürden« den Geistlichen verschiedenen Ranges zustehen. In der Anrede werden alle diese Prädikate mit dem in der Schrift gewöhnlich abgekürzten Pronomen »Euer« (Ew.) verbunden. Über die Einführung und den Gebrauch der einzelnen Prädikate, wie Majestät, Hoheit, Durchlaucht etc., sind die betreffenden Artikel nachzuschlagen. Die unbefugte Annahme oder Führung eines Titels, einer Würde oder eines Adelsprädikats wird nach § 360, Ziff. 8, des Reichsstrafgesetzbuches mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder mit Hast bestraft. Vgl. R. Stein, Titulaturen in Briefen und Eingaben an Standespersonen, Behörden etc. (2. Aufl., Berl. 1890); Richard, Titulaturen, weltliche und geistliche, deutsche und fremdländische (Leipz. 1890).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 576.
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