Sturm [1]

[150] Sturm, ein besonders heftiger Wind, dessen Stärke mangels zuverlässiger Messungen des Winddruckes meist nach der Geschwindigkeit der bewegten Luftmassen bestimmt wird. Als Sturmnorm gilt Stufe 8 der Beaufortskala und darüber. Mißt man die Geschwindigkeit mittels Rotationsanemometers, so hängt die Sturmnorm von der Ausstellung des Apparates ab, besonders von seiner Höhe über dem Erdboden oder über der Durchschnittshöhe der Häuser etc.; so empfindet man einen Wind in Hamburg unten als S., wenn das Anemometer oben auf der Seewarte mindestens 15 m Geschwindigkeit in der Sekunde angibt. auf Borkum aber mindestens 21 m. Im allgemeinen rechnet man einen Wind von mindestens 16 m als S. Die heftigsten Stürme mit zerstörender Wirkung heißen Orkane.

Die Entstehung des Sturmes ist wesentlich die gleiche wie die des Windes, nur wirken die Ursachen (Temperaturdifferenz, Gradient etc.) stärker. Je größer der Gradient oder das Gefälle, um so stärker gewöhnlich der S. Bei Stürmen nördlich der Alpen hat man einen Durchschnittsgradienten von etwa 3 mm beobachtet, d. h. ein Gefälle von 0,3 m auf 1 km. Da die Gradienten bei Gebieten hohen Luftdrucks meist klein sind, sind auch Hochdruckstürme selten; am häufigsten kommen Stürme bei Depressionen vor. Je kleiner und tiefer die Depressionen, um so gleichmäßiger pflegt der S. auf alle Seiten verteilt zu sein, wie namentlich in den Tropen; solche Sturmdepressionen nennt man Wirbelstürme oder Zyklone. Hierzu gehören die Tornados, Tromben, Windhosen, Taifune und Hurrikane. Die Richtung, in der ein Wind als S. weht, ist ebenso wie bei jedem andern Wind von der Richtung und Größe des Gradienten sowie von der Ablenkung durch die Rotation der Erde und die Zentrifugalkraft abhängig. Die Richtung, in der ein S. einsetzt, und seine Drehung sind auf der Erde sehr verschieden, ebenso auch die Richtung des Fortschreitens der Sturmzentren und der Stürme selbst. In den arktischen Meeren und Ländern setzen die Stürme aus O. bis NO. ein und gehen nach NNW. herum; der Wind dreht sich während des Sturmes gegen die Sonne. In der nördlichen gemäßigten Zone gehören die Stürme hauptsächlich der rechten oder südlichen Seite der von W. nach O. fortschreitenden Wirbel an, und der Wind dreht sich, dem Buys-Ballotschen Gesetz entsprechend, während des Sturmes von SO. durch Süd und SW. nach W. und NW., also mit der Sonne. Die seltenste Sturmrichtung ist die aus O. Die meisten Stürme, die Europa treffen, sind Teile der Wirbel, deren Zentren vom Atlantischen Ozean, am häufigsten aus Gegenden zwischen Island und Schottland, zu uns kommen und dann teils nach O., teils nach NO., seltener nach SO. weitergehen. Haben die Wirbel das Festland erreicht, so verlieren sie infolge der auf dem Festlande gegenüber dem Meere größern Reibung allmählich an Stärke; demzufolge sind die Westküsten Europas weit stürmischer als das Binnenland. Auf dem Atlantischen Ozean nimmt die Häufigkeit der Stürme in allen Jahreszeiten mit der Entfernung vom Äquator zu und ist im westlichen Teil etwas größer als im östlichen. Außerhalb der Wendekreise ist die Zahl der Stürme auf beiden Hemisphären im Winter größer als im Sommer, doch ist dieser Unterschied auf der nördlichen Halbkugel viel größer als auf der südlichen; die südliche Halbkugel übertrifft die nördliche an Zahl der sommerlichen Stürme, die nördliche aber jene in der Zahl der Winterstürme. In Nordamerika wandern die Sturmzentren gleichfalls von W. nach O., besonders auf den Breitengraden nördlich von den Vereinigten Staaten und Kanada. Im nördlichen Stillen Ozean sind die Verhältnisse denen des Atlantischen Ozeans ähnlich; doch ist jener etwas ruhiger als dieser, da in dem Stillen Ozean kein so starker Gegensatz zwischen warmen und kalten Meeres- und Luftströmungen besteht.

Bei den Zyklonen bildet der Teil des Wirbels, in dem die Windstärke bis zum Orkan oder sehr starken S. steigt, einen Kreis oder ein Oval mit einem Durchmesser von 100–1000, auch 2000 km, meist aber von wenigen hundert Kilometern. Der Barometerstand nimmt anfangs sehr schnell im Verhältnis zum Abstand vom Zentrum zu, so daß der barometrische Gradient zuweilen bis über 45 mm hinausgeht. In weitern Entfernungen vom Zentrum werden die Gradienten rasch kleiner, und bald erreicht der Luftdruck seine durchschnittliche Höhe, so daß ein Wirbelsturm am Sinken des Barometers oft erst bei großer Nähe erkannt wird. Stets kündet sich ein tropischer S. durch ungewöhnliche Dämmerungsfarben an, dann folgt ein Cirrusschleier mit Halos, und die Luft wird feucht, schwül und drückend; die Wolken werden dichter und dunkel. Auf dem Meere geht dem S. meist eine Dünung voran, bisweilen sogar um mehrere Tage. Mit dem Dunkelwerden setzt heftiger Regen und S. ein. Beim Passieren des Zentrums fällt das Barometer ungewöhnlich rasch (der tiefste bisher erreichte Barometerstand betrug 685,5 mm), um bald darauf wieder um ebensoviel zu steigen; gleichzeitig wird es vorübergehend windstill, worauf der S. aus entgegengesetzter Richtung einsetzt. Bei den heftigsten tropischen Stürmen tritt mit der zentralen Windstille eine zeitweise Aufhellung der Wolken ein, die man das Auge des Sturmes nennt. Diese stille Zone hat meist 15–30 km Durchmesser. Die größte Sturmstärke wird auf der rechten vordern Seite des Wirbels beobachtet, die man deshalb, und weil hier der Wind die Schiffe dem Zentrum zuführt, die »gefährliche Hälfte« nennt im Gegensatz zur andern, der »fahrbaren (maniabeln) Hälfte«.[150]

Die tropischen Wirbelstürme entstehen ungefähr unter dem 10.° nördl. oder südl. Br. und bewegen sich in der Art, daß das Zentrum gewöhnlich erst nach W. geht und sich dann nach N. (nördliche Halbkugel) oder Süden (südliche Halbkugel) vom Äquator entfernt. Ungefähr unter den Wendekreisen wendet sich das Zentrum häufig direkt nach N. und NO. (nördliche Halbkugel) oder nach Süden und SO. (südliche Halbkugel). Eine derartige Bahn beschreiben z. B. die Sturmzentren der Hurrikane (s. d.) in Westindien sowie die Mauritiusorkane im Indischen Ozean. Die erstern bewegen sich anfangs nach W., drehen über N. nach NO., gehen dann in den Atlantischen Ozean hinein und nehmen, während sie an Breite zunehmen, unter Einwirkung der Erdrotation an Kraft ab, bis sie sich ausgleichen, meist ohne Europa erreicht zu haben. Jedoch gibt es eine ganze Anzahl Depressionen, die weit nach Europa hineinzogen und hier bisweilen Zerstörungen anrichteten. In dem Meerbusen von Bengalen wandern die Wirbelstürme gewöhnlich von der Andamanengruppe nach der Gangesmündung hin. Im Chinesischen Meer und bei Japan, wo man diese Stürme Taifune nennt, zeigen sie gewöhnlich einen sehr kleinen Durchmesser. Sie bewegen sich im allgemeinen nach W.

Die Geschwindigkeit der tropischen Sturmzentren beträgt im Indischen Ozean, wo man sogar stillstehende Zyklone beobachtet hat, 5–18 km in der Stunde, im Meerbusen von Bengalen 5–28 km, im Chinesischen Meer 13–45 km und bei den westindischen Orkanen meist 26–37 km in der Stunde. Da, wo die Sturmzentren im westlichen Teil ihrer Bahn nach NO. umkehren, ist ihre Geschwindigkeit häufig am geringsten, dann wächst sie und erreicht in höhern Breiten bis 100 km in der Stunde. Die amerikanischen Tornados pflegen mit einer ähnlichen Geschwindigkeit wie die Wirbelstürme in Europa fortzuschreiten, und zwar im Mittel mit ca. 60 km in der Stunde.-

Die Windgeschwindigkeit im Wirbelsturm selbst erreicht zuweilen die Größe von 130–190 km und mehr in der Stunde oder 35–50 m in der Sekunde. Bis zu welcher Größe die Windstärke bei den tropischen Orkanen anwachsen kann, weiß man nicht, weil ihnen kein Anemometer standhält; da aber Messungen noch bei etwa 62 m in der Sekunde stattfanden, so müssen weit größere Geschwindigkeiten vorkommen.

Die zerstörenden Wirkungen der Orkane sind besonders groß, wenn sich mit ihnen die verheerenden Wirkungen der Meeresfluten (s. Sturmflut) verbinden. Bei den großen Verlusten, die der S. an Menschen und Gegenständen verursacht, sowie bei dem in der Neuzeit zunehmenden Schiffsverkehr dachte man zeitig daran, das Erscheinen und den Weg der Stürme zu studieren und daraus, wenn möglich, Warnungszeichen abzuleiten. Schon 1856 machte Leverrier Vorschläge dazu, doch setzte sie Nordamerika zuerst in die Tat um. Die Sturmwarnungen werden von meteorologischen Zentralstellen (in Deutschland von der Deutschen Seewarte in Hamburg) auf Grund der telegraphischen Wetterberichte den Signalstellen an den Küsten telegraphisch übermittelt. Die Hauptstellen haben Signalmaste mit Tages- und Nachtzeichen, einzelne auch Semaphoren oder Aeroklinoskope, während die Nebenstellen die Sturmwarnungen nur öffentlich aushängen. An der deutschen Küste sind 112 Signalstellen, zu neun Bezirken zusammengefaßt, vorhanden, denen, je nach der Wetterlage, allen oder einem Teil nur die Warnungen zugehen; diese gelten nicht nur für den betreffenden Ort, sondern auch für dessen Umgebung bis 50 Seemeilen (92,5 km) weit.

An dem Signalmast (Fig. 1) von nicht unter 20 m Höhe ist mindestens 15 m über dem Boden eine 8 m lange Rahe wagerecht befestigt, an deren jedem Ende Leinen herabhängen. An der rechten Leine werden die Warnungszeichen: Ball oder Kegel aus geteertem Segeltuch oder Korbgeflecht ausgezogen, an der linken rote Flaggen.

Fig. 1. Sturmsignalmast.
Fig. 1. Sturmsignalmast.

Ein Ball bedeutet, daß möglicherweise S. eintritt, während durch Kegel das Nahen eines Sturmes als sicher oder doch sehr wahrscheinlich hingestellt wird. Die Kegel zeigen je nach ihrer Stellung (Fig. 2) die Richtung an, aus welcher der S. erwartet wird.

Fig. 2. Sturmsignale der deutschen Seewarte.
Fig. 2. Sturmsignale der deutschen Seewarte.

Eine Flagge besagt, daß der S. sich im Sinne des Sonnenlaufs drehen wird, zwei Flaggen das Gegenteil. Die Darstellung in Fig. 1 würde mithin eine Warnung vor einem S. aus NO., der nach N. herumgehen wird, bedeuten. In der Nacht wird als Ersatz für alle diese Zeichen nur eine rote Laterne ausgezogen, aber auch nur da, wo eine Verwechselung mit andern Seezeichen ausgeschlossen ist. Die Windsemaphorstationen (Fig. 3) geben die telegraphisch zuletzt gemeldete Richtung und Stärke (halbe Beaufortskala) des Windes von zwei nahegelegenen Beobachtungsstationen an, und zwar an der Nordsee von Borkum (B) und Helgoland (H), an der Ostsee von Brüsterort (B) und Rixhöft (R, bei Memel Libau, L).

Fig. 3. Windsemaphorstation. Beispiel: Helgoland: Wind ORD., Stärke 6; Borkum: Wind NW., Stärke 8.
Fig. 3. Windsemaphorstation. Beispiel: Helgoland: Wind ORD., Stärke 6; Borkum: Wind NW., Stärke 8.

Vgl. Hann, Lehrbuch der Meteorologie (2. Aufl., Leipz. 1905); die Segelhandbücher der verschiedenen Nationen für die Ozeane, besonders die von der Deutschen Seewarte herausgegebenen (s. Seewarte); Hildebrandsson und Teisserenc de Bort, Les bases de la météorologie dynamique (Par. 1895 ff.); Bergholz, Die Orkane des fernen Ostens (Brem. 1900); W. H. Alexander, Hurricanes (Washingt. 1902); Reye, Die Wirbelstürme, Tornados und Wettersäulen (Hannov. 1872); Hennig, Untersuchungen über die Sturmfluten der Nordsee (Berl. 1897); Baensch, Die Sturmflut an den Ostseeküsten im November 1872 (das. 1875); Hennig, Katalog bemerkenswerter Witterungsereignisse bis 1800 (das. 1904); v. d. Becke, Das Sturmwarnungswesen europäischer Staaten (in den »Annalen der Hydrographie«, das. 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 150-151.
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