Eiweißstoffe

[374] Eiweißstoffe (Protein- oder Albuminstoffe genannt), eine große Gruppe von organischen Substanzen, welche den wesentlichsten Bestandteil der tierischen und pflanzlichen Zelle bilden.

Die Eiweißstoffe werden ausschließlich von den Pflanzen erzeugt, und zwar unter Mitwirkung des Sonnenlichtes aus einfachen Stoffen, wie Kohlensäureanhydrid, Wasser, stickstoffhaltigen Salzen, Phosphaten und Sulfaten, und finden sich namentlich im Samen der Pflanzen. Dem Tierkörper werden sie nur fertig gebildet durch die Nahrung zugeführt, um alsdann durch den Assimilationsprozeß zum Teil eine Zerlegung in einfachere Verbindungen, zum Teil eine eigentümliche Modifikation zu noch komplizierteren Molekülen zu erleiden. – Ausführlicheres über das chemische Verhalten der Eiweißkörper s. [1]. Ihrer Elementarzusammensetzung nach bestehen sie aus Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Sauerstoff. Ueber die jedenfalls sehr komplizierte Konstitution des Eiweißmoleküls sowie über seine Größe ist mit Sicherheit noch nichts bestimmt, während die empirische Zusammensetzung der verschiedenen Eiweißarten innerhalb gewisser Grenzen schwankt. Für das sogenannte kristallisierte Eiweiß ist z.B. von Stohmann und Langbein die Formel C720H1134N218S5O248 aufgestellt worden, eine komplizierte Molekularformel. Letzteres rührt daher, daß der in den Eiweißkörpern stets vorhandene Schwefel immer nur in sehr geringer Menge (Zehntelprozente) darin enthalten ist und auf 1 Atom Schwefel 70–300 Atome Kohlenstoff und 110–600 Atome Wasserstoff kommen. Phosphor scheint nur in den Nucleoalbuminen und Nucleoproteiden vorzukommen. Alle Eiweißstoffe sind optisch linksdrehend, hinterlassen beim Verbrennen anorganische Asche und sind durch die Leichtigkeit ihres Zerfalls ausgezeichnet. So werden sie durch Kochen mit verdünnten Säuren oder Basen, durch Fäulnis u.s.w. in weniger kompliziert zusammengesetzte Körper der verschiedensten Art übergeführt, von welchen hier nur die durch ihre Giftigkeit ausgezeichneten Ptomaine erwähnt seien. Sie lösen sich alle in konzentrierter Essigsäure und in Phosphorsäure beim Erwärmen, die meisten auch in verdünnten Mineralsäuren, einige auch in Wasser auf. Die in Wasser löslichen Eiweißarten werden durch Erhitzen, durch Einwirkung von Alkohol, Aether, Gerbsäure, vielen Mineralsäuren und Metallsalzen in einer unlöslichen Modifikation abgeschieden, sie werden koaguliert. In getrocknetem Zustande bilden die Albuminstoffe amorphe, weiße, geruch- und geschmacklose Massen. Mit einer Reihe von Reagentien zeigen sie charakteristische Farbreaktionen [1]. Die streng wissenschaftliche Unterscheidung und Einteilung der verschiedenen Eiweißstoffe ist mangels eingehenderer Kenntnis und wegen der Uebergänge zwischen den einzelnen Gruppen noch nicht möglich. Wegen ihrer komplizierten Zusammensetzung bieten die Eiweißkörper der chemischen Bearbeitung große Schwierigkeiten. Allmählich wird man wohl auch Aufklärung über die Konstitution erhalten, wie dies in so schöner Weise bei den Alkaloiden (s.d.) gelungen ist, und erst in allerjüngster Zeit hat Emil Fischer [2] die künstliche Darstellung von Eiweißkörpern versucht. Es gelang ihm, sukzessive die Moleküle verschiedener Amidosäuren anhydridartig aneinander zu reihen; die erhaltenen Produkte, »Polypeptide« genannt, bringen die Synthese der natürlichen Peptone um ein gutes Stück näher. Ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Eiweißkörper s. [2].

Am zweckmäßigsten unterscheidet man die in der Natur vorkommenden Arten wie: Albumin, Globulin, Kasein – gleichgültig, ob pflanzlichen oder tierischen Ursprungs – von den aus diesen durch chemische Eingriffe oder Fermente erzeugten Modifikationen wie: Albuminate, Fibrine, Peptone u.s.w. Von diesen mögen die wichtigsten hier kurz besprochen werden. Die Albumine sind in Wasser, verdünnten Säuren und Alkalien und in Lösungen von Kochsalz oder Magnesiumsulfat löslich und werden durch Erhitzen koaguliert. Zu ihnen gehören das Serum-, Eier-, Milch- und Pflanzenalbumin. Die Globuline, unlöslich in Wasser, löslich in verdünnten Salzlösungen, werden durch konzentrierte Salzlösungen gefällt und durch Kochen koaguliert. Hierher sind zu rechnen: Myosin (in den Muskeln), Fibrin (im Blut) u.s.w. Die Kaseine sind in Wasser bei Zusatz von etwas Alkali löslich. Auch das Milchkasein ist in der Milch wahrscheinlich an Natron gebunden. Durch verdünnte Säuren wie durch das Labferment werden sie gefällt, durch Kochen nicht koaguliert. Auch in den Pflanzen kommen Kaseine vor. Die Kleberproteine sind in wasserhaltigem Zustand zähe, elastische Massen und kommen im Getreidemehl vor (s. Kleber). Die Albuminate entstehen durch Behandlung von Albumin, Globulin u.s.w. mit Aetzalkalien, sind in Wasser und Salzen unlöslich, löslich in verdünnter Salzsäure und in Sodalösung und treiben aus kohlensaurem Kalk Kohlensäure aus. – Ueber Propeptone oder Albumosen und Peptone s. Peptone. – In naher Beziehung zu den Eiweißstoffen stehen Nuklein, in den Zellkernen der Pflanzen und Tiere vorkommend, Keratin oder Hornstoff, Elastin, der Hauptbestandteil der elastischen Gewebe des tierischen Organismus; man nennt sie Albuminoide. Physiologisch von hervorragender Bedeutung ist das Hämoglobin, das aus den im arteriellen Blut der Tiere vorhandenen Oxyhämoglobinen [374] durch Reduktion entsteht und auch im venösen Blut enthalten ist. Eiweißartige Stoffe sind die Toxalbumine, die zum Teil im tierischen und pflanzlichen Organismus fertig gebildet vorkommen, zum Teil aber auch als Stoffwechselprodukte von Bakterien anzusehen sind und die eine starke physiologische Wirksamkeit besitzen.

Das Albumin, entweder aus Eiern oder aus Blut hergestellt [1] und nach seinem Ursprung als Ei- oder Blutalbumin bezeichnet, findet mannigfache praktische Verwertung; so als Gegenmittel bei Sublimatvergiftung, in Verbindung mit Kalk als Kitt, zum Klären von trüben Flüssigkeiten, zur Herstellung von photographischem Papier (s. Albuminpapier) und zum Zeugdruck in der Baumwolldruckerei (s. Albuminfarben) u.s.w.

Bei der Fabrikation werden die Eier vorsichtig geöffnet, das Weiß vom Dotter sorgfältig getrennt, die Häute des Eiweißes durch Schlagen zerrissen, die so gewonnene Masse entweder filtriert oder mit Essigsäure und Ammoniak geklärt, abgezogen und zum Trocknen auf Zink- oder Porzellanplatten gegossen. Beim Trocknen, für welches ca. 36 Stunden erforderlich sind, ist eine Temperatur von 30–35° R. genau einzuhalten, da bei höheren Wärmegraden leicht Zersetzung, bei 60° Gerinnung des Eiweißes eintritt. Ein gutes Fabrikat muß sich in Wasser (7 Teile Wasser, 1 Teil Albumin) leicht, ziemlich klar und mit geringem Niederschlag lösen. – Getrocknete Eiweißkonserven für die Konditorei und Backwarenindustrie werden in ähnlicher Weise gewonnen (W. Eug. Seemann, Stuttgart). Für letzteren Zweck muß die Ware nach ihrer Lösung die volle Schaum- und Bindekraft, ferner die Geruch- und Geschmacklosigkeit frischen Eiweißes besitzen.

Ueber die technische Verwendung des Kaseins s. Kasein.


Literatur: [1] Beilstein, Handbuch der organischen Chemie, 2. Aufl., Hamburg und Leipzig 1890, Bd. 3, S. 1258–1310. – [2] Die neuen Jahrgänge von Mayers Jahrbuch der Chemie, Braunschweig. – [3] Schmidt, Lehrbuch d. pharm. Chemie, Bd. 2, Braunschweig 1901. – [4] Eine gute kurze Abhandlung über die Eiweißkörper findet sich in Röttgers Lehrbuch der Nahrungsmittelchemie, Leipzig 1903.

Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 374-375.
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