Azofarbstoffe

[211] Azofarbstoffe, Teerfarbstoffe, die ihrer Mannigfaltigkeit, Leichtigkeit der Darstellung und Farbenpracht halber hohe Bedeutung gewonnen haben. Sie enthalten als chromophore Gruppe die Atomgruppe N = N (s. Azokörper) und als chromogene Gruppe NH2 (Amidoazofarbstoffe) oder OH (Oxyazofarbstoffe). Die meisten A. enthalten die Azogruppe N = N nur einmal (Monoazofarbstoffe), in einigen kommt jedoch diese Gruppe zweimal (Disazofarbstoffe, Tetrazofarbstoffe) oder gar dreimal (Trisazofarbstoffe) vor. Die einfachsten A. sind gelb, durch Vermehrung der auxochromen Gruppen, auch durch Anhäufung von Kohlenstoff im Molekül nimmt die Nuance an Tiefe zu. In vielen Fällen geht sie dabei durch Rot in Violett, in andern Fällen in Braun über. Blaue A. entstehen nur durch Anhäufung mehrerer Azogruppen im Molekül. Grüne A. enthalten stets eine Nitrogruppe. Da die meisten reinen A. in Wasser unlöslich sind, so wendet man statt ihrer die Natronsalze ihrer Sulfosäuren an. Nur für bestimmte Zwecke, z. B. für Spirituslacke, benutzt man in Wasser unlösliche, aber in Spiritus lösliche A. Zur Darstellung der A. geht man von Diazoverbindungen aus, die bei der Einwirkung von salpetrigsaurem Natron auf Anilin und andre primäre aromatische Amine in saurer Lösung entstehen (Diazotierung). Salzsaures Anilin C6H5.NH2.HCl gibt mit NaNO2 und HCl Diazobenzolchlorid C6H5.NN.Cl, Chlornatrium und Wasser. Die stark gekühlte Lösung der Diazokörper läßt man in die alkalische Lösung des entsprechenden Phenols oder dessen Sulfosäure einlaufen. Auch einige Amine vereinigen sich direkt mit den Azokörpern, bei andern sind besondere Verhältnisse zu beachten. Nachdem sich der Farbstoff gebildet hat, wird er ausgesalzen und gewöhnlich durch Filterpressen abfiltriert. Die Zahl der A. ist ungemein groß, im Handel erhalten sie empirische Namen, denen zur Bezeichnung des Farbentons die Buchstaben G, O, R (Gelb, Orange, Rot) hinzugefügt werden. Die Zahl der beigefügten Buchstaben soll die Intensität der Färbung andeuten.

Die Entdeckung der A. veranlaßte einen mächtigen Aufschwung der Teerfarbenindustrie, da dieselben durch die Mannigfaltigkeit ihrer Farbe und die Leichtigkeit ihrer Darstellung bei fast theoretischer Ausbeute dem Fabrikanten hohen Gewinn brachten, während die Leichtigkeit, sie auf der Faser zu fixieren, den Konsum ganz enorm steigerte. Die mit A. gefärbte Wolle und Seide erleidet durch Waschen mit Seife und am Licht wenig Veränderung. Eine Gruppe von Azofarbstoffen, die Kongofarbstoffe, lassen sich nicht auf Wolle, dagegen in der einfachsten Weise auf Baumwolle fixieren, indem man letztere lediglich durch die mit wenig Alkali versetzte kochende Farbstofflösung durchzieht. Die kongorot gefärbte Baumwolle ist nicht so echt wie die alizarinrote, doch hat die Einfachheit des Färbeprozesses der Alizarinrotfärberei enormen Abbruch getan. – Als erster Azofarbstoff kam 1863 das bereits 1859 von Grieß entdeckte Amidoazobenzol (Anilingelb) in den Handel, 1865 entdeckten Caro und Grieß das Phenylenbraun (Bismarckbraun), und nachdem Witt 1876 das Chrysoidin entdeckt hatte, war die synthetische Darstellung der A. praktisch verwirklicht. Dem Chrysoidin folgten schnell die ungleich wichtigern sauern A., die durch die Einführung der Naphthole (Roussin) hohe Bedeutung erlangt haben.[211] Die Mitte der 1880er Jahre brachte die direkten Baumwollfarbstoffe, das Ende derselben die ersten beizenziehenden A., die in der Echtwollfärberei und dem Kattundruck die natürlichen Farbstoffe ersetzen. Schließlich hat die direkte Erzeugung von A. auf der Faser in der Baumwollfärberei große Umwälzungen hervorgebracht. Vgl. Bülow, Chemische Technologie der A. (Leipz. 1897–98, 2 Tle.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 211-212.
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