Bebauungsplan

[528] Bebauungsplan, der für eine Stadt im Interesse ihrer Schönheit, der Gesundheit ihrer Bewohner und eines bequemen Verkehrs festgesetzte Plan ihres weitern Ausbaues. In alter Zeit sind Bebauungspläne im heutigen Sinne kaum aufgestellt worden. Die Bebauung entstand vielmehr zufälliger, die Entscheidungen der maßgebenden Stellen erfolgten von Fall zu Fall, und durch die bestehenden Besitzverhältnisse, die man nicht so durchgreifend wie heute regelte, bildeten sich vielfach Unregelmäßigkeiten, die durch die Notwendigkeit der Städtebefestigung noch vermehrt wurden. Auf diese Weise vielfach durch den Zufall begünstigt, anderseits aber auch, namentlich was die Anlage der Plätze betrifft, mit vollem Bewußtsein, wurde damals bei Städteanlagen in hohem Maße den Schönheitsrücksichten entsprochen. Dies beweisen die Anlagen Roms und Athens, der Markusplatz in Venedig, die Piazza della Signoria in Florenz, der Marktplatz in Nürnberg und andre berühmte Beispiele mehr. Mit dem Ausgang der Renaissancezeit, als die Städte ihre Befestigungen abzuschütteln begannen und der souveräne Wille einzelner Fürsten maßgebend wurde, begann man die Bebauungspläne zu schematisieren und in Systeme zu bringen. Man baute nach dem Rechtecks-, dem Radial-, dem Dreieckssystem etc. Damit war der Nüchternheit Tür und Tor geöffnet, die seitdem die Bebauungspläne mit wenig Ausnahmen beherrscht, und in der namentlich die amerikanischen Städte mit ihren unerträglich regelmäßigen schachbrettartigen Grundplänen obenan stehen. In rein praktischer Beziehung, also namentlich was Gesundheits- und Verkehrsrücksichten, auch Bauplatzverwertung anlangt, scheinen diese Pläne auf den ersten Blick wesentliche Vorteile zu bieten. Dieselben Vorteile sind aber, ohne Rücksicht auf die Schönheit der Stadt zu opfern, auch auf andre Weise erreichbar, wie mancher B. der Neuzeit zeigt. Mehrfach hat man neuerdings den Entwurf von Bebauungsplänen zum Gegenstand von Preisbewerbungen gemacht, soz. V. für Köln, Hannover, München, und dabei zur Nachfolge ermunternde Ergebnisse erzielt. Vgl. Städtebau.

In Übereinstimmung mit den großen Gesichtspunkten, unter denen heutzutage alle auf die Wohlfahrt der Bevölkerung bezüglichen Dinge öffentlich geregelt werden, sind auch die Bebauungspläne zu einem wesentlichen Punkte der modernen Baugesetzgebung gemacht worden. Nach dem preußischen Gesetz vom 2. Juli 1875 sind die Straßen und Baufluchtlinien vom Gemeindevorstand im Einverständnis mit der Gemeinde, dem öffentlichen Bedürfnis entsprechend, unter Zustimmung oder auf Verlangen der Ortspolizei festzusetzen. Die Festsetzung der Fluchtlinien kann für einzelne Straßen und Straßenteile oder nach dem voraussichtlichen Bedürfnis der nächsten Zukunft durch Ausstellung von Bebauungsplänen für größere Grundflächen erfolgen. Der vom Gemeindevorstand entworfene, von der Polizei gebilligte B. ist zu jedermanns Einsicht offen auszulegen und nach Erledigung etwaiger Einwendungen förmlich festzustellen. Von dieser Feststellung an beginnt die Beschränkung des Grundeigentums dahin, daß Neubauten, Um- und Ausbauten über die Fluchtlinie hinaus versagt werden können. Die Gemeinde erhält gleichzeitig das Expropriationsrecht für die durch den Bauplan festgesetzten Straßen und Plätze. Durch Ortsstatut kann bestimmt werden, daß an Straßen und Straßenteilen, die noch nicht gemäß den polizeilichen Bestimmungen des Ort es für den öffentlichen Verkehr und den Anbau fertig hergestellt sind, Wohngebäude, die nach diesen Straßen einen Ausgang haben, nicht errichtet werden dürfen. In verschiedenen größern Städten sind neuerdings unzeitgemäße Einzelheiten der alten Bebauungspläne verbessert worden. So namentlich in Paris, wo unter Napoleon III. der Seinepräfekt Haußmann die Durchbrüche der Avenue del'Opéra, des Boulevards St.-Germain und de Sébastopol, der äußern Boulevards etc. schuf, und in Rom, wo durch die Anlage der Via nazionale, den Durchbruch vom Corso bis zur Engelsbrücke, die Tiberregulierung etc. wesentliche Umgestaltungen stattgefunden haben. Aber auch Wien mit seiner Ringstraße und mehreren Straßendurchbrüchen, London mit seinen Uferstraßenanlagen, Berlin mit seinen freilich z. T. ziemlich zwecklosen »Entlastungsstraßen« (Kaiser Wilhelmstraße, verlängerte Dorotheenstraße etc.), Dresden mit seiner König Johannstraße, Neapel mit der Ausräumung seines Proletarierviertels sind in dieser Beziehung als bedeutsame, wenn auch nicht immer nach jeder Richtung hin glückliche Unternehmungen zu nennen. Vgl. Baumeister, Stadterweiterungen (Berl. 1876); Sitte, Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen (3. Aufl., Wien 1901); Stübben, Der Städtebau (in Durms »Handbuch der Architektur«, Bd. 4, Darmst. 1890); Derselbe, Hygiene des Städtebaus (in Weyls »Handbuch der Hygiene«, Bd. 4, Jena 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 528.
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