Chronophotographie

[131] Chronophotographie (griech.), das besonders von Marey ausgebildete Verfahren, von in Bewegung befindlichen Menschen oder Tieren photographische Aufnahmen in regelmäßigen Zeitintervallen herzustellen. Derartige Serienphotographien geben eine vollkommene Vorstellung von dem Ablauf einer Bewegung, und den auf diese Weise in einzelne Bewegungsphasen zerlegten Vorgang kann man mit Hilfe der Augenblicksbilder wieder rekonstruieren und mit beliebiger Geschwindigkeit vor sich ablaufen sehen, wenn man die Bilderreihe in ein Zootrop, einen Schnellseher u. dgl. einsetzt oder mittels des Kinematographen[131] auf einen Schirm projiziert. Die C. wurde zuerst von Janssen zur Darstellung des Durchganges des Planeten Venus durch die Sonnenscheibe verwendet.

Tabelle

Später benutzte sie Muybridge zum Studium der Bewegungen von Pferden u. a. m. Er stellte eine Reihe von photographischen Apparaten vor der Bahn auf, in der das Pferd laufen sollte, und ließ das Tier bei seinem Gange durch Unterbrechung elektrischer Leitungen hintereinander die Momentverschlüsse der einzelnen Apparate auslösen. Jede Camera gab somit ein Bild, das einer bestimmten Phase der Bewegung entsprach. Anschütz in Lissa lieferte vorzügliche Serienbilder von marschierenden oder springenden Menschen, von galoppierenden oder im Trab gerittenen Pferden, laufenden Hunden etc. Marey benutzte die C. zur Untersuchung des Vogelflugs und bediente sich einer einzigen Camera, die in einer Art von Gewehr enthalten war, das auf den fliegenden Vogel angelegt und eingestellt werden konnte (Fig. 1).

Fig. 2. Mareys Apparat mit rotierendem Momentverschluß.
Fig. 2. Mareys Apparat mit rotierendem Momentverschluß.

Die Berührung des Abzugs löste ein Uhrwerk aus, durch das eine undurchsichtige, einen seinen Spalt enthaltende Scheibe in schnelle Umdrehung versetzt wurde (zwölfmal in der Sekunde).

Fig. 3. Verfuchsperson mit markierten Armen und Beinen.
Fig. 3. Verfuchsperson mit markierten Armen und Beinen.

Dieser Spalt diente zur Augenblicksbeleuchtung, die also zwölfmal in der Sekunde wiederkehrte u. jedesmal 1/720 Sekunde dauerte. Indem auch der in der Camera enthaltenen empfindlichen Platte eine Rotationsbewegung erteilt wurde, entstand auf ihr alle 1/12 Sekunde ein Bild, und zwar jedesmal auf einer andern Stelle der kreisförmig od. achteckig zugeschnittenen Platte. Vorteilhaft wird die Platte durch eine endlose lichtempfindliche Membran (Film) ersetzt, die durch ein Uhrwerk hinter dem schnell rotierenden Spalt vorüberbewegt wird u. bei jedem durch den Spalt vermittelten Lichtzutritt etwa 0,001 Sekunde stillsteht.

Die Bewegungen von Menschen können aber auch auf einer einzigen, ruhenden Platte photographiert werden, wenn man vor derselben einen rotierenden Momentverschluß anbringt (Fig. 2). Die Ortsveränderungen, die zwischen je zwei Aufnahmen die Versuchsperson erfährt, genügen, um die einzelnen Bilder auf der Platte nebeneinander fallen zu lassen.

Vorteilhaft kleidet man die Versuchsperson schwarz und markiert an dieser Kleidung die Stellung der Arme, der Beine und des Kopfes durch glänzende Streifen und Punkte (Fig. 3). Die Photographie gibt dann nur diese wieder, und die Zahl der Phasen kann, weil sie sich jetzt infolge der Schmalheit jedes Einzelbildes gut auseinanderhalten lassen, sehr groß sein.

Fig. 4. Photographische Darstellung eines laufenden Menschen.
Fig. 4. Photographische Darstellung eines laufenden Menschen.

Fig. 4 gibt eine derartige Darstellung von einem laufenden Menschen. Braune und Fischer machen gleichzeitige Momentaufnahmen der gehenden Person von verschiedenen Seiten her und bezeichnen die Stellung der einzelnen Körperteile durch plötzlich zum Ausglühen gebrachte Geißlersche Röhren.

Zu den chronophotographischen Darstellungen gehört auch die Photographie gewisser Bewegungsvorgänge, deren zeitlicher Ablauf sich in andrer Weise nur sehr unvollkommen studieren läßt, in der Form von Kurven auf lichtempfindlichem, die Oberfläche eines rotierenden Zylinders bekleidendem Papier. Die Physiologie hat aus solchen Aufzeichnungen, z. B. der Bewegungen des Quecksilberfadens des Kapillarelektrometers, der Pulsbewegung an den Schlagadern, vor allem aber aus dem phonophotographischen Verfahren, durch das die Sprachlaute dargestellt werden, den größten Nutzen gezogen. Vgl. Marey: Développement de la méthode graphique par l'emploi de la photographie (Par. 1884), Le mouvement (1894) und La chronophotographie (1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 131-132.
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