Darmverschluß

[526] Darmverschluß, Verhinderung der Weiterbeförderung des Darminhalts an einer Stelle des Darmrohres. Als direkte Folge der Undurchgängigkeit und der durch den gestauten Darminhalt bewirkten, durch reichliche Gasentwickelung verstärkten Dehnung weiter Darmstrecken entsteht eine starke Austreibung des Leibes, Kolikschmerzen, Aufstoßen, Erbrechen; das Erbrochene nimmt bei Fortdauer allmählich eine kotähnliche Beschaffenheit an (Kotbrechen, Miserere). Durch reflektorischen Nerveneinfluß wird ferner die Herztätigkeit und Zirkulation schwer geschädigt; infolgedessen zeigen die schwer leidenden Kranken spitze, verfallene, mit kaltem Schweiß bedeckte Gesichtszüge, blasse, kalte Extremitäten, kleinen Puls. Wird der D. nicht, sei es natürlich, sei es durch Kunsthilfe, beseitigt, so führt das Leiden meist durch Herzschwäche, oft kompliziert mit Bauchfellentzündung, zum Tode. Man bezeichnet diesen Zustand als Ileus. Derselbe tritt um so heftiger auf und ist um so gefährlicher, je plötzlicher die Unwegsamkeit entsteht; erfolgt der D. langsamer, etwa durch allmähliches Unwegsamwerden einer bereits vorhandenen Darmverengerung, so treten die Ileuserscheinungen milder auf, insbes. fehlen die schweren Herzerscheinungen. – Die Ursache des Darmverschlusses kann eine mechanische sein (völlige Aufhebung des Darmlumens), sie kann in Lähmung (Paralyse) der den Darminhalt weiter befördernden Darmmuskulatur bestehen oder, etwa bei Erlahmung der letztern oberhalb einer Verengerung, eine Kombination von mechanischem Verschluß und Lähmung sein. Man unterscheidet dementsprechend einen mechanischen, paralytischen (oder dynamischen) oder einen mechanisch-dynamischen Ileus. Die verschiedenartigsten anatomischen Vorgänge können hierbei zu Grunde liegen. Es können Geschwüre der Darmschleimhaut zu allmählich schrumpfenden Verengerungen führen, durch die eine Zeitlang durch besondere Anstrengung der Darmmuskulatur der Darminhalt hindurchgepreßt wird, die aber eines Tages durch Erlahmung desselben oder durch Verlegung mit festerm Darminhalt in D. umgewandelt werden. Ferner können (seltener) sich größere feste Körper, wie Gallensteine, festklemmen. Besonders häufig entsteht D. durch Einklemmung einer Darmschlinge in einer Bruchpforte und zwar bei äußern Brüchen wie auch bei innern, d. h. in taschenförmige Einstülpungen des Bauchfelles eintretenden, daher in der Bauchhöhle verbleibenden Brüchen. Bestehen alte Narbenstränge infolge früherer entzündlicher Vorgänge am Bauchfell, so können die beweglichen Darmschlingen über solche straff hinweggezogen werden und dadurch Knickungen entstehen, oder sie treten unter solchen durch oder gleiten durch einen Spalt im Netz, oder bilden unter sich oder mit Netzanhängen, mit dem Wurmfortsatz knotenförmige Verschlingungen, oder eine lange Darmschlinge dreht sich um ihre Längsachse, so daß das Darmrohr abgeklemmt wird (Darmverschlingungen). Die Einklemmungen und Verschlingungen entstehen oft ganz plötzlich, führen daher zu den schwersten Ileuserscheinungen. Bei Kindern und Greisen ist die sogen. Invagination, Einscheidung oder Intussuszeption eine häufige Ursache des Darmverschlusses: ein lebhaft sich bewegendes Darmstück wird in einen tiefer gelegenen, erweiterten Darmabschnitt eingestülpt, von diesem erfaßt, mit dem zugehörigem Gekröse darmabwärts gezerrt. Eine meist rasch erfolgende Blutstauung führt zu starker Anschwellung, oft auch zu Entzündung und Brand der eingestülpten und fest umschnürten Darmstrecke. Die Invagination kann auch entstehen, indem eine von der Darmwand ausgehende und in das Darmlumen hereinragende Geschwulst von der peristaltischen Bewegung des Darmes erfaßt und so die Darmwand herabgezerrt wird. Auch selbständig können in das Darmrohr hereinragende Geschwülste zu D. führen. Endlich kann umschriebene Lähmung der Darmmuskulatur (infolge Gewalteinwirkung, lokaler Bauchfellentzündung, nach Operationen) die Weiterbeförderung des Darminhalts unmöglich machen und eine Ansammlung desselben bis zum D. herbeiführen. Die Behandlung richtet sich vor allem nach der Ursache, die im einzelnen Fall oft schwer erkennbar ist. Meist wird möglichst bald der Bauchschnitt auszuführen und das Hindernis zu beseitigen sein (Zurückbringen von Verschlingungen, Einklemmungen, Lösung einschnürender Stränge). Manchmal wirkt die Entleerung des Magens mit dem Magenschlauch günstig, indem hierdurch der Druck in dem über dem D. gelegenen Darmabschnitt vermindert und die freiwillige Reposition des um seine Achse gedrehten Darmteils begünstigt wird. Die neuerdings empfohlene Behandlung des Darmverschlusses mit Atropin, bez. Belladonna kann den operativen Eingriff nur selten unnötig muchen, leicht aber zu unheilvoller Verzögerung desselben führen. Angeborner D., Verschluß des Afters, s. Atresie.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1906, S. 526.
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