Erntegebräuche

[70] Erntegebräuche, mit der Ernte, von deren Ausfall das materielle Wohl so vieler Menschen abhängig ist, verknüpfte religiöse Gebräuche und Volksbelustigungen. Die alten Griechen begingen zur Erntezeit Feste zu Ehren der Demeter (Ceres), der man die Einführung des Getreidebaues zuschrieb. Auf ähnliche Dankfeste der Germanen deutet das in manchen Gegenden Deutschlands übliche Stehenlassen eines Büschels Ähren, das, wie es scheint, dem Wodan (Wode, Wodel) als Opfer dargebracht ward, und in Süddeutschland der Kult des heil. Oswald, zu dem die Schnitter beten. Im Saterland nennt man den stehenbleibenden Erntebusch mit christianisierter Vorstellung Peterbült (Petrus als Wetterherr gedacht). Wenn man in andern Gegenden eine Puppe aus den letzten Ähren macht, dieselbe den »Alten« nennt und feierlich einholt, so geht dies vielleicht auf Donar, der z. B. in Dithmarschen »de Olde« heißt (vgl. Ackerkulte). – Die christliche Kirche setzte an die Stelle der altheidnischen Dankopfer ein Erntedankfest, das noch jetzt und zwar in Norddeutschland (in Preußen seit 1773 u. 1836) meist am Sonntag nach Michaelis (29. Sept.) begangen wird. Unter den Vergnügungen, die nach vollbrachter Einfuhr des Getreides den Arbeitern vom Gutsherrn bereitet werden, ist die gebräuchlichste das Erntebier, eine Tanzbelustigung, bei der den Arbeitern Bier verabreicht und von diesen dem Festgeber eine Erntekrone oder Erntekranz überreicht zu werden pflegt. Über die alten halbheidnischen Gebräuche vgl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte (Berl. 1877); Pfannenschmid, Germanische Erntefeste im heidnischen und christlichen Kultus (Hannov. 1878); U. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht (Bresl. 1884).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 70.
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