Fakîr

[283] Fakîr (arab.), »Armer«, im Sinne eines Menschen, der weniger materieller Hilfe, als vielmehr des Beistandes Gottes und seiner Barmherzigkeit benötigt. Das Wort ist in diesem Sinne gleichbedeutend mit Derwisch (s.d.) und bezeichnet den mohammedanischen Asketiker. Die Fakirs zerfallen in zwei große Klassen: 1) die Bā-schar' (»mit Gesetz«), die nach den Vorschriften des Islams leben und einem religiösen Derwischorden mit bestimmten Regeln und religiösen [283] Zeremonien (zikr) angehören; und 2) die Bischar' (»ohne Gesetz«), die, obgleich sie Mohammedaner sind, keine religiösen Glaubenssatzungen und Zeremonien haben. Die erstern heißen auch sâlik, d. h. Wanderer auf dem Wege (tarîka) zum Himmel, die letztern âzâdFreie«) oder madschzûb (»Verzückte«). Die Satzungen und Zeremonien der zahlreichen Fakirorden werden, wie die der Freimaurer, geheim gehalten. Die Fakirs leben von Almosen. Sie tragen gewöhnlich Mäntel aus schwarzem oder weißem Filz, auch wohl Tierfelle. Ihre Kopfbedeckung (tâdsch, Krone) ist, je nach dem Orden, dem sie angehören, verschieden gestaltet; so tragen die Mewlewi-Derwische hohe, zylinderförmige Mützen oder Turbane aus gelbem Filz, die Rufâi kleine runde Filzlappen. Gewöhnlich führen sie noch folgende Gegenstände mit sich: eine kleine Krücke aus Holz oder Eisen, auf die sie ihren Ellbogen oder ihre Stirn stützen, wenn sie in religiöse Betrachtungen versunken sind, oder einen kleinen eisernen Stab, der in einer künstlichen Hand endigt und mit dem sie ihren ungewaschenen Körper kratzen; einen Sack aus Lammfell und eine Schale (kaschkûl) zum Sammeln von Almosen; ferner einen Rosenkranz (tasbîh) von 33,66 oder 99 Körnern, die der Zahl der Attribute Gottes entsprechen. Haupthaar und Bart lassen sie lang wachsen. Die Fakirs führen meist ein asketisches Leben und bringen Tag und Nacht mit Anrufen Gottes zu. In Europa versteht man unter F. vorwiegend den fanatischen Büßer Indiens, der mit struppigem Haar und fast nackt einherzieht und sich, um sich Gott wohlgefällig zu zeigen, die schmerzhafteste Selbstpeinigung auslegt. Die Fakirs sind zum größten Teil arbeitsscheues Volk, das sich unter der Maske der Heiligkeit von der abergläubischen Masse füttern und bewundern läßt. In manchen Teilen Asiens sind sie geradezu eine Pest.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 283-284.
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