Goltz [2]

[118] Goltz, 1) Bogumil, humoristischer Schriftsteller, geb. 20. März 1801 in Warschau, gest. 12. Nov. 1870 in Thorn, erhielt seine Bildung in Königsberg und Marienwerder, erlernte 1817–21 in der Nähe von Thorn die Landwirtschaft, hörte darauf an der Universität zu Breslau philosophische und philologische Vorlesungen, war seit 1823 als Landwirt tätig, widmete sich dann zumeist literarischen Arbeiten und ließ sich 1830 in dem Städtchen Gollub nieder, von wo er 1847 nach Thorn übersiedelte. Seine Schriften sind: »Buch der Kindheit« (Frankf. 1847; 4. Aufl., Berl. 1877); »Deutsche Entartung in der lichtfreundlichen und modernen Lebensart« (Frankf. 1847); »Das Menschendasein in seinen weltewigen Zügen und Zeichen« (das. 1850, 2 Bde.; 2. Aufl., Berl. 1867); »Ein Jugendleben, biographisches Idyll aus Westpreußen« (Leipz. 1852, 3 Bde.; 2. Aufl. 1865, 4 Bde.); »Ein Kleinstädter in Ägypten« (Berl. 1853, 3. Aufl. 1877); »Der Mensch und die Leute« (das. 1858,5 Hefte); »Zur Charakteristik und Naturgeschichte der Frauen« (das. 1858, 5. Aufl. 1874); »Zur Physiognomie und Charakteristik des Volkes« (das. 1859); »Die Deutschen, ethnographische Studien« (das. 1860, 2 Bde.; 2. Aufl. u. d. T.: »Zur Geschichte und Charakteristik des deutschen Genius«, 1864); »Typen der Gesellschaft« (das. 1860, 2 Bde.; 4. Aufl. 1867); »Feigenblätter, eine Umgangsphilosophie« (das. 1862–64, 3 Bde.); »Die Bildung und die Gebildeten« (das. 1864, 2. Aufl. 1867); »Die Weltklugheit und die Lebensweisheit mit ihren korrespondierenden Studien« (das. 1869, 2 Bde.); »Vorlesungen« (das. 1869, 2 Bde.). In allen diesen Werken zeigt sich G. als realistischer Sonderling. Wie Rousseau ein Feind der zur Unnatur gesteigerten Kultur, möchte er durch radikale Umgestaltung des Erziehungswesens ein kräftigeres Geschlecht und ein neues geistiges Leben der Menschheit anbahnen. Naturalistisch bis zum Zynischen, leiden seine sprachlich jeanpaulisierend barocken Schriften an künstlerischer Formlosigkeit. In seiner Schilderung virtuoser Kleinmaler, in seiner Beurteilung durchaus[118] moralischer und politischer Rigorist, schwärmt er für patriarchalische Sitte und fühlt sich nur da sympathisch berührt, wo ihm naturwüchsige Kraft und Derbheit entgegentritt. Vgl. Roquette, Siebzig Jahre, Bd. 1 (Darmst. 1894).

2) Friedrich, Mediziner, Neffe des vorigen, geb. 14. Aug. 1834 in Posen, gest. 4. Mai 1902 in Straßburg, studierte 1853–57 in Königsberg, ward 1861 Prosektor daselbst, 1862 Privatdozent und 1865 außerordentlicher Professor. 1870 ging er als Professor der Physiologie nach Halle und 1872 in derselben Eigenschaft nach Straßburg. 1901 trat er in den Ruhestand. G. lieferte wichtige Untersuchungen über die Herzfunktion, den Venentonus, die Blutbewegung, den Tastsinn, die Bedeutung der Bogengänge des Ohrlabyrinths, besonders aber über die Physiologie des Zentralnervensystems, die Funktion der Großhirnrinde, die Nervenzentren sowie über die Reflexbewegungen. Die allgemein als Goltzscher Klopfversuch bezeichnete Tatsache, daß durch Reizung der Baucheingeweide (Klopfen auf den Bauch) der Hemmungsnerv des Herzens (vagus) so gereizt werden kann, daß dadurch das Herz zum Stillstehen gebracht wird, hat den Schlüssel zur Erklärung zahlreicher andrer Reflexerscheinungen geliefert. Er schrieb: »Beiträge zur Lehre von den Funktionen der Nervenzentren des Frosches« (Berl. 1869); »Über die Verrichtungen des Großhirns« (gesammelte Aufsätze, Bonn 1881); »Wider die Humanafter, Rechtfertigung eines Vivisektors« (Straßb. 1883).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 118-119.
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