Thorn

[501] Thorn (poln. Torun), Stadt (Stadtkreis) im preuß. Regbez. Marienwerder, Festung ersten Ranges, an der Weichsel, über die hier eine 1000 m lange Eisenbahnbrücke führt, 35 m ü. M., hat alte, vom Deutschen Orden erbaute Ringmauern, 6 evangelische[501] und 3 kath. Kirchen (unter letztern die Johanniskirche mit dem Epitaphium des Kopernikus), eine Garnisonkirche, Synagoge, ein altes Schloß (1260), ein Rathaus (mit Archiv, Bibliothek und Museum), Denkmäler des hier gebornen Astronomen Kopernikus, des Kaisers Wilhelm I. und des Bürgermeisters Rösner (s. unten), ein Kriegerdenkmal, ein Denkmal zur Erinnerung an die 1813 bei der Verteidigung von T. gefallenen Bayern, eine Bismarcksäule und (1905) mit der Garnison (drei Infanterieregimenter Nr. 21,61 und 176, ein Ulanenregiment Nr. 4, zwei Bataillone Fußartillerie Nr. 11 und 15 und ein Pionierbataillon Nr. 17) 31,801 (nach Einverleibung des anliegenden Dorfes Mocker [s. d.] im J. 1906: 43,435) Einw., davon 17,510 Evangelische, 13,023 Katholiken und 1092 Juden. Die Industrie besteht in Eisengießerei, Fabrikation von Maschinen, Dampfkesseln, Spiritus, Honigkuchen, Schokolade, Tabak, Seife, Mineralwasser, Essig etc., auch hat T. Holzbearbeitungsfabriken, Bierbrauerei, Dampfsägewerke, Dampfmühlen und Ziegelbrennerei. Der lebhafte Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbankstelle (Umsatz 1906: 427,8 Mill. Mk.) und durch die Stromschiffahrt, ist besonders bedeutend in Getreide, Futtermitteln, Holz, Wein, Kolonial-, Eisen- und Schnittwaren, Vieh, Steinkohlen etc. Besucht sind auch die dortigen Woll-, Pferde- und Viehmärkte.

Wappen von Thorn.
Wappen von Thorn.

Dem Verkehr in der Stadt dient eine elektrische Straßenbahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Schneidemühl-T., Posen-Schönsee und T.-Alexandrowo sowie der Kleinbahnlinie T.-Leibitsch. Der Durchgangsverkehr auf der Weichsel betrug 1906 zu Berg: 1082 Schiffe mit 85,938 Ton. Ladung, zu Tal: 1435 Schiffe mit 107,802 T. Ladung, außerdem 1,675,795 cbm Floßholz. T. hat ein Gymnasium, ein Realgymnasium, ein evangelisches und ein kath. Schullehrer- und ein Lehrerinnenseminar, 2 Präparandenanstalten, eine Gewerbeschule, ein Waisenhaus, ein Konservatorium für Musik, ein Theater und ist Sitz eines Landgerichts, eines Hauptzollamts, einer Spezialkommission, des Landratsamts für den Landkreis T., eines Gouverneurs, eines Festungskommandanten, des Kommandos der 70. und 87. Infanterie- und der 2. Fußartilleriebrigade und des Artillerie-Schießplatzes T. sowie der 4. Festungsinspektion. Die städtischen Behörden zählen 16 Magistratsmitglieder und 42 Stadtverordnete. T. gegenüber auf dem linken Weichselufer der Flecken Podgorz (s. d.) und in der Nähe ein Artillerieschießplatz. – Zum Landgerichtsbezirk T. gehören die neun Amtsgerichte zu Briefen, Gollub, Kulm, Kulmsee, Lautenburg, Löbau i. Westpr., Neumark i. Westpr., Strasburg i. Westpr. und T.-Der 1231 durch den Hochmeister Hermann Balk gegründete Ort wurde von westfälischen Einwanderern bevölkert, erhielt 1232 durch Verleihung der Kulmischen Handfeste Stadtrecht und gehörte im 14. Jahrh. der Hansa an. Über den ersten (1411) und den zweiten Thorner Frieden vgl. Preußen, S. 294. Im J. 1454 ward das Schloß zu T. vom Preußischen Städtebund erobert und von den Bürgern zerstört. Der Waffenstillstand mit Polen zu T. vom 5. April 1521 gewährte dem Hochmeister Albrecht von Brandenburg vier Jahre Ruhe bis zum Krakauer Frieden. 1557 wurde T. evangelisch und 1558 die Marienschule in ein Gymnasium verwandelt. König Wladislaw IV. von Polen veranstaltete hier 1645 unter Ossolinskis Vorsitz das sogen. Colloquium charitativum (das »liebreiche Religionsgespräch«) zur Versöhnung der Katholiken und Dissidenten (vgl. Jacobi, Das liebreiche Religionsgespräch zu T. 1645, Gotha 1895). Streitigkeiten, die 1724 zwischen den Jesuitenzöglingen und den Schülern des protestantischen Gymnasiums bei der Fronleichnamsprozession entstanden, verursachten einen Tumult und Verwüstung des Jesuitenklosters. Die polnische Regierung ließ deswegen auf Grund eines ungesetzlichen Verfahrens 7. Dez. 1724 den Stadtpräsidenten Rößner und neun Bürger enthaupten (Thorner Blutbad; vgl. die Schrift von Jacobi, Halle 1896, und die polnische Beschönigung von Kujol, Posen 1895) und stärkte den katholischen Einfluß im Stadtregiment. Bei der zweiten Teilung Polens fiel T. zugleich mit Danzig 1793 an Preußen, 1807 an das Großherzogtum Warschau und kapitulierte 16. April 1813 vor den Russen und Preußen. 1815 kam es an Preußen und ward seit 1818 befestigt. In T. wurde 19. Febr. 1473 der Astronom Kopernikus geboren. Vgl. Wernicke, Geschichte Thorns (Thorn 1839–42, 2 Bde.); Hoburg, Die Belagerungen der Stadt und Festung T. (das. 1850); Steinbrecht, Die Baukunst des Deutschen Ritterordens, Bd. 1: T. im Mittelalter (Berl. 1884); Kestner, Beiträge zur Geschichte der Stadt T. (Thorn 1883); Uebrick, Thorn (Danz. 1903); »Mitteilungen des Kopernikus-Vereins zu T.« (das. 1855 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 501-502.
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