Iambus

[722] Iambus (griech.), aus einer kurzen und langen Silbe (Bild im Fließtext) bestehender Versfuß, bei den Griechen ursprünglich Grundelement der volkstümlichen Spott- und Streitgedichte (daher I. auch soviel wie Schmähgedicht; s. Jambendichtung). Von den verschiedenen iambischen Versgattungen, in denen unter gewissen Bedingungen Ersatz des I. durch Spondeen und Anapäste statthaft ist, verwendeten die griechischen und nach ihnen die römischen Dramatiker für den Dialog den sechsfüßigen I., den sogen. Trimeter oder Senar (s. d.; über den französischen iambischen Sechsfüßler s. Alexandriner), die Komödiendichter außerdem den achtfüßigen I. oder Tetrameter (s. d.). Der I. spielt namentlich im Deutschen in allen Zweigen der Dichtkunst eine Hauptrolle. Vielseitige Verwendung hat der drei- und vierfüßige I., katalektisch und hyperkatalektisch:

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oder beide vereinigt:

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Die Verbindung des drei- und vierfüßigen I. mit wechselnden männlichen und weiblichen Reimen eignet sich vorzugsweise für das sangbare Lied wie für ruhige Reflexion, wie zahlreiche Sinnsprüche von Schiller, Rückert, Bodenstedt u. a. beweisen. Auch in Balladen haben sich Goethe, Schiller u. a. sowie Neuere zu größern epischen Dichtungen vielfach des vierfüßigen I. bedient. Durch Beimischung von Anapästen erhält er bewegtern Charakter. Gleichmäßig geeignet ist der fünffüßige I. für lyrisch-didaktische Dichtung, Epos und Drama. Lebendigkeit und Energie, dazu bei richtiger Behandlung hinlängliche Elastizität, um nicht durch Einförmigkeit zu ermüden, befähigen ihn vorzugsweise zum Ausdruck des dramatischen Affekts. Die Deutschen haben den reimlosen Fünffüßler von den englischen Dramatikern und Epikern überkommen (s. Blank verse); eingebürgert hat ihn im Drama Lessing, der ihn zuerst in seinem dramatischen [722] Fragment »Kleonnis« (1758) anwandte, und der auch Brawe, E. v. Kleist und Ch. F. Weiße veranlaßte, sich seiner zu bedienen, ehe er ihn selbst durch den »Nathan« (1779) zu allgemeinerer Geltung brachte. Die Behandlung des fünffüßigen I. seitens unsrer Klassiker ist verschieden (vgl. Zarncke, Über den fünffüßigen I. mit besonderer Berücksichtigung auf seine Behandlung durch Lessing, Schiller und Goethe, 1865; abgedruckt in Zarnckes »Goethe-Schriften«, Leipz. 1897). Er verträgt nicht nur, sondern erfordert geradezu häufige Enjambements und Umlegung des Rhythmus; auch ist freiester Wechsel der Zäsuren, selbst Zäsurlosigkeit erlaubt. In Verbindung mit dem Reim bildet er die Grundlage der mannigfachen italienischen Strophenbildungen, die sich mit ihren wohllautenden Formen auch in der deutschen Dichtkunst eingebürgert haben: Sonett, Ottave Rime (Stanze), Terzine, Kanzone etc. Vgl. Sauer, Über den fünffüßigen I. vor Lessings Nathan (Wien 1878); Minor, Neuhochdeutsche Metrik (2. Aufl., Straßb. 1902). – Die Franzosen nennen Iambes (spr. ĭāngb') die abwechselnde Verbindung eines Alexandriners mit einem achtsilbigen Vers. Die ersten Gedichte dieser Form rühren von André Chénier, die berühmtesten von Ang. Barbier her.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 722-723.
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