Kolĭbris

[260] Kolĭbris (Honigvögel, Blumennymphen, Blumensauger, Trochilidae Less., hierzu Tafel »Kolibris«), Familie aus der Ordnung der Segler, welche die kleinsten aller Vögel enthält, mit oft sehr langem, dünnem, geradem oder sanft gebogenem, zugespitztem Schnabel, der durch die überragenden Ränder des Oberschnabels ein Rohr bildet, aus dem die bis zur Wurzel gespaltene, lange Zunge vorgeschnellt werden kann. Die Flügel sind lang, schmal und spitz; der Schwanz ist oft gegabelt, bisweilen mit sehr stark verlängerten Außenfedern, deren Fahnen dann verkümmert zu sein pflegen, an der Spitze aber eine rundliche Scheibe bilden; die Füße sind auffallend klein, dünn und schwach, die Krallen ungemein spitz, bisweilen länger als die Zehen. Die Größe der K. übertrifft bisweilen nur wenig die der Hummeln, doch wird z. B. der Riesenkolibri (Patagona gigas Gray) 20 cm lang. Die Geschlechtsunterschiede sind bei manchen Arten überraschend groß. Das bunte, metallglänzende, oft prachtvoll schillernde, an sehr verschiedenen Stellen verlängerte Gefieder, die Zierlichkeit des Körperbaues und der eigentümliche schnelle und schwirrende Flug hat diesen Vögeln die Bewunderung aller Reisenden gewonnen. Sie finden sich in Amerika von Patagonien bis Labrador, hauptsächlich in den Tropen; die in den gemäßigten Regionen vorkommenden wandern oder streichen weit umher; einige brüten noch in Höhen bis zu 5000 m. Dabei sind die einzelnen Arten oft an sehr beschränkte Örtlichkeiten gebunden. Die größte Artenzahl findet sich in den Gebirgen Süd- und Mittelamerikas, wo gleichzeitig die Blütenpflanzen ihre höchste Mannigfaltigkeit erreichen. Die K. nähren sich vom Blütenhonig und von Insekten, die sie zum Teil fliegend fangen, auf Blättern und in Spinngeweben suchen, hauptsächlich aber aus den Blüten herauslesen, indem sie vor denselben schwirrend schweben und die lange Zunge hineinsenken. Dabei sind die einzelnen Arten oft an bestimmte Pflanzen gebunden, wenn auch einige minder wählerisch erscheinen. Die Entwickelung der Blüten nötigt sie zum Herumstreifen, und so zeigen sich manche Arten an ein und demselben Ort nur zu gewissen Jahreszeiten. Ihr Kommen und Gehen ist überraschend, denn das schärfste Auge verliert den fliegenden Kolibri, der plötzlich vor einer Blüte erscheint, um blitzschnell wieder zu verschwinden. Im allgemeinen gleicht der Flug dem der Insekten, so daß sie mitunter leicht mit Schmetterlingen (Schwärmern) verwechselt werden. Nach längerm Flug ruhen sie auf dünnen Zweigen, auf denen sie auch, bisweilen nach Art mancher Papageien mit dem Kopf nach unten, schlafen. Auf dem Boden sind sie unbehilflich. Ihre Sinne sind hoch entwickelt, im Verhältnis zu ihrer Größe sind sie äußerst heftig, kampflustig; sie stoßen wütend auf kleine Eulen und große Falken und wissen diese, die ihnen bei ihrem schnellen Flug nicht mit den Augen zu folgen vermögen, so sehr zu verwirren, daß sie die Flucht ergreifen. Sie sind ebenso neugierig wie dreist, untersuchen einen Blumenstrauß, den man in der Hand hält, dringen, durch Blumen angelockt, in Wohnzimmer ein und nisten sogar in solchen. Nur einige singen. Fast alle K. sind echte Tagvögel; sie fliegen naschend von einer Blüte zur andern, und an einem blütenreichen Baum sammelt sich bisweilen ein ganzer Schwarm. Besonders erregt sind sie in der Nistzeit. Ob die Paare das ganze Jahr hindurch zusammenhalten, ist noch unentschieden. Sie bauen aus baumwollähnlichem Stoff, gemischt mit Baumflechten etc., zierliche Nester auf Zweigen, zwischen Grashalmen etc. und legen stets zwei weiße, verhältnismäßig große Eier, die das Weibchen in 16 Tagen ausbrütet. In der Gefangenschaft erscheinen sie ungemein zutraulich, und mit frischen Blumen und Zucker sind sie einige Zeit frei fliegend im Zimmer zu erhalten; sie sterben aber, wenn man sie nicht mit[260] kleinen Insekten füttert. Einige Male ist es gelungen, K. lebend nach Europa zu bringen, aber niemals, sie längere Zeit zu erhalten. Man kennt etwa 400 Arten, von denen unsre Tafel II Vertreter (Docimastes, Eutoxeres, Heliactinus, Heliothrix, Hypermetra, Lophornis, Mellisuga, Oreotrochilus, Sparganura, Steganurus, Topaza) zeigt. Vgl. Lesson, Histoire naturelle des oiseaux-mouches (Par. 1829–33); Gould, Monograph of the Trochilidae (Lond. 1849–60, 5 Bde.; Supplement 1880–87); Mulsant und Verreaux, Essai d'une classification méthodique des Trochilidés (Par. 1866) und Histoire naturelle des oiseaux-mouches (das. 1875–1877, 4 Bde.); Cabanis und Heine, Museum Heineanum, 3. Teil (Halberst. 1860); Hartert, Trochilidae (Berl. 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 260-261.
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