Kopfjagden

[464] Kopfjagden, die Unternehmungen barbarischer Völker, um sich in den Besitz menschlicher Köpfe, Schädel oder Skalpe zu setzen, teils um dadurch einen Anspruch, unter die Männer gerechnet zu werden, nachzuweisen, teils um die Kräfte der Getöteten auf sich selbst überzuleiten oder letztere in den Dienst Verstorbener zu stellen, in deren Namen dann die K. angestellt werden. Diese von religiösen Vorstellungen beeinflußte Unsitte war ehemals weit, auch in Nordamerika, verbreitet und hält sich noch jetzt in Hinterindien, den Inseln des Malaiischen Archipels, Neuguineas, auf Formosa und in einem großen Teil Afrikas. Besonders sind K. auf Java, bei den Alfuren auf Ceram und bei den Dajak auf Borneo im Schwange trotz der Anstrengungen der holländischen Regierung, welche die Kopfschneller (holländ. Koppensnellers) mit schweren Strafen bedroht. Die K. werden bei verschiedenen Veranlassungen angestellt und häufig mit allerlei religiösen Zeremonien eingeleitet, namentlich, z. B. bei den hinterindischen Bergstämmen und in Afrika, vor der mit Tätowierung und allerlei Mutproben verbundenen Mannbarkeitserklärung (s. Pubertät [Zeremonien]). Die Köpfe werden in der Regel von feindlichen Stämmen erbeutet, sollen aber von wehrhaften Männern herrühren, sonst höhnt man den Sieger. In dem Gebiet Grobo stolzierten alle jungen Leute mit einem Schädel, der sie heiratsfähig machte, am Gürtel, doch setzte der englische Gouverneur Griffith 1893 Todesstrafen auf die K., die besonders vor Hochzeiten und zur Erwerbung höherer Würden, wie der Häuptlingswürde, wozu die Vorweisung einer gewissen Anzahl von Köpfen gehört, ausgeübt werden, ebenso bei Begräbnissen angesehener Personen, um ihnen Diener ins Jenseits nachzusenden. Während das Fleisch der Opfer meist verteilt und verzehrt wurde, bildeten die Köpfe wertvolle Trophäen des Kopfjägers, der sie eigens räuchert, bemalt, mit künstlichen Augen versieht oder sonst präpariert, um seine Wohnung damit zu schmücken. Mitunter wurden auch nur die gebleichten Schädel verwahrt und mit ihnen ein eigentümlicher Schädelkultus getrieben. Auch in Alteuropa scheinen entsprechende Gebräuche geherrscht zu haben, wenigstens melden zahlreiche Sagen von geopferten Menschenköpfen (auf dem Kapitol), von einbalsamierten weissagenden Köpfen (Orpheus- und Mimirsage), von Helden, die aus den Schädeln ihrer Feinde Trinkgeschirre fertigen ließen (s. auch Skalpieren), ganz abgesehen von den auf Mauerzinnen aufgesteckten Feindesköpfen und von den Schädelpyramiden einzelner Völker, die als einfache Trophäen zu betrachten sind. Vgl. R. Andree, Über Schädelkultus (»Mitteilungen des Leipziger Vereins für Erdkunde«, 1875); Bock, Unter den Kannibalen auf Borneo und Java (deutsch, Jena 1882); Furneß, Home life of Borneo head-hunters (Lond. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 464.
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