Oréstes

[111] Oréstes, 1) im griech. Mythus Sohn des Agamemnon und der Klytämnestra, war bei der Ermordung des Vaters durch Ägisthos (s. d.) dem gleichen Schicksal bestimmt; aber seine Schwester Elektra (s. d. 3) rettete ihn zu dem Phokerkönig Strophios, bei dem er bis zum 20. Jahr blieb und mit dessen Sohn Pylades innige Freundschaft schloß. Mit ihm nach Mykenä zurückgekehrt, erschlug er die Mutter samt ihrem Buhlen. Von den Eumeniden deshalb verfolgt, irrte er lange wahnsinnig umher, bis Athene auf dem Areopag in Athen ein Gericht über ihn einsetzte und durch ihren Stimmstein die Freisprechung entschied. Nach andrer Sage fand er dadurch Erlösung, daß er das Bild der Artemis von den Tauriern nach Griechenland brachte (s. Iphigenie). Nach der Heilung nahm O. die väterliche Herrschaft von Mykenä in Besitz, heiratete Hermione, Tochter des Menelaos, und gewann damit auch Sparta. Er starb in Arkadien an einem Schlangenbiß und wurde in Tegea begraben; seine Gebeine wurden später nach Sparta, wo er ein Heroon hatte, überführt. Die Tragiker haben die Sage vielfach behandelt, so Äschylos (Trilogie »Oresteia«), SophoklesElektra«) und Euripides (»O.«, »Taurische Iphigenie«, »Elektra«). Auch die Kunst stellte ihn häufig dar.

2) Röm. Feldherr zur Zeit des Untergangs des weströmischen Reiches, Sohn des Tatulus, aus Pannonien, wurde Geheimschreiber des Attila und ging nach dessen Tod 453 in den Dienst der abendländischen Kaiser über. Hier wurde er römischer Patrizier und Anführer der barbarischen Hilfstruppen und erhob an Stelle des Julius Nepos 475 seinen Sohn Romulus Augustulus zum Kaiser. Nach kurzem aber stellten ihm seine eignen Truppen, unwillig darüber, daß sie die erwarteten Ländereien nicht erhalten hatten, den Odoaker als Führer entgegen, der den O. zwang, sich nach Pavia zurückzuziehen und ihn nach Eroberung der Stadt 28. Aug. 476 enthaupten ließ.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 111.
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