Provinzialverfassung

[406] Provinzialverfassung, die gesetzlichen Vorschriften über die Verwaltung einer Provinz (s. d.). In Preußen sind diese in den Provinzialordnungen zusammengefaßt. Für die altpreußischen Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg (mit Ausnahme von Berlin), Pommern, Schlesien und Sachsen ist die Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 am 1. Jan. 1876 in Kraft getreten. Hierzu Änderungen durch Gesetz vom 23. März 1881. Die Provinzialordnung wurde mit entsprechenden Änderungen durch Gesetze vom 7. Mai 1884, 8. Juni 1885, 1. Aug. 1886, 1. Juni 1887, 27. Mai 1888 und 2. Juli 1900 nacheinander auch für die Provinzen Hannover, Hessen-Nassau, Westfalen, Rheinlande, Schleswig-Holstein und Hohenzollern in Kraft gesetzt. Hiernach bildet jede Provinz einen mit den Rechten einer Körperschaft ausgestatteten Gemeindeverband zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten. Für diesen Zweck ist der Provinzialverband, der sich aus Kreisverbänden der Provinz zusammensetzt, zum Erlaß von Provinzialstatuten über die ihm gesetzlich zugewiesenen Angelegenheiten und von Reglements über besondere Einrichtungen des Provinzialverbandes ermächtigt. Die Feststellung dieser Verordnungen erfolgt auf dem Provinziallandtag, der durch den König einberufen wird, und dessen Abgeordnete in den Landkreisen durch die Kreistage, in den Stadtkreisen von den Magistraten und den Stadtverordnetenkollegien[406] gemeinschaftlich auf sechs Jahre gewählt werden. Außerdem kommt dem Provinziallandtag die Feststellung des Provinzialhaushaltsetats und etwaiger Provinzialabgaben zu. Letztere werden auf die einzelnen Stadt- und Landkreise nach Maßgabe der in ihnen aufkommenden direkten Staatssteuern mit Ausschluß der Gewerbesteuer vom Hausierbetrieb verteilt. Zur Wahrnehmung der laufenden Geschäfte der Provinzialgemeindeverwaltung wird vom Provinziallandtag ein vom König zu bestätigender Landesdirektor auf 6–12 Jahre gewählt, dem die nötigen Provinzialbeamten beigegeben werden. Demselben steht als ständiges Organ der Provinzialgemeindeverwaltung ein ebenso gewählter Provinzialausschuß zur Seite, der außer dem Landesdirektor und dem Vorsitzenden aus einer durch Provinzialstatut festzusetzenden Anzahl von 7–13 Mitgliedern besteht. Staatliche Aufsichtsbehörden in Ansehung der Provinzialverwaltung sind der Oberpräsident (s. d.) und in höherer Instanz der Minister des Innern. Außerdem wirken bei der Beaufsichtigung der Gemeindeangelegenheiten der Kreise, Amtsverbände und Ortsgemeinden, bei der Beaufsichtigung der Schulangelegenheiten und des Wegebaues ein Bezirksrat und in höherer Instanz ein Provinzialrat mit. Ersterer besteht aus dem Regierungspräsidenten, einem vom Minister des Innern ernannten höhern Verwaltungsbeamten und vier vom Provinzialausschuß gewählten Mitgliedern, letzterer aus dem Oberpräsidenten der Provinz, einem höhern Verwaltungsbeamten und fünf vom Provinzialausschuß aus seiner Mitte erwählten Mitgliedern. Für die unmittelbare Verwaltung und Beaufsichtigung einzelner Anstalten sowie für die Wahrnehmung einzelner Angelegenheiten des Provinzialverbandes können besondere Provinzialkommissionen durch Beschluß des Provinziallandtags angeordnet und von diesem oder von dem Provinzialausschuß erwählt werden. Vgl. v. Brauchitsch, Die neuen preußischen Verwaltungsgesetze (neue Bearbeitung von Studt und Braunbehrens, 6 Bde., zuletzt Berl. 1906 ff.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 406-407.
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