Rigorismus

[935] Rigorismus (lat., »Strenge«) heißt im allgemeinen jede strenge, bez. überstrenge, an bestimmten Grundsätzen unverbrüchlich festhaltende Denk- und Handlungsweise; im engern Sinne heißt so jede ethische Lehre, die (wie die Kantsche), von der Annahme der Existenz unbedingt verpflichtender Sittengesetze ausgehend, vom sittlichen Menschen verlangt, daß er diesen unter allen Umständen und lediglich aus »Achtung vor dem Sittengesetz« nachkomme, und jeden Einfluß sowohl des die Folgen erwägenden Verstandes als des Gefühls und der Neigungen auf unser Handeln aufs strengste verpönt. Der R. steht im Gegensatz einerseits zu denjenigen ethischen Systemen, die (wie der Eudämonismus) die Berechtigung der Sittengesetze aus den Zwecken ableiten, die durch das sittliche Handeln erreicht werden sollen, anderseits auch zu denjenigen, die (wie die Verstandes- und Gefühlsmoral) die vernünftige Überlegung oder die Gefühle (des Mitleids, Wohlwollens etc.) als die Motive des letztern betrachten. Kants R. erklärt sich aus der Opposition gegen die teils egoistisch-berechnenden, teils weichlichgefühlsseligen ethischen Anschauungen seiner Zeitgenossen, aber mit Recht bezeichnete es Schiller, über Kant hinausgehend, als die höchste Stufe der Sittlichkeit, wenn die Pflichterfüllung selbst zur »Neigung« geworden sei.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 935.
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