Vertagen

[111] Vertagen, vom altdeutschen »tagen«, d. h. Gericht halten, wird die Aussetzung der Sitzungen einer Körperschaft genannt. Das Recht der Vertagung ist, soweit es sich um Volksvertretungen handelt, fast in allen Verfassungen dem Regenten vorbehalten. Nach der deutschen Reichsverfassung hat der Kaiser das Recht, den Bundesrat und den Reichstag zu v. Die Vertagung des Reichstags darf aber ohne dessen Zustimmung die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden. Auch die von einer Volksvertretung ausgehende Unterbrechung der Sitzungen auf bestimmte oder unbestimmte Zeit sowie die Abbrechung einer Verhandlung an dem einen Tage, um sie an einem andern wieder aufzunehmen, wird als Vertagung bezeichnet. Im Reichstag bedarf ein Antrag auf Vertagung der Unterstützung von 30 Mitgliedern. Es wird darüber ohne Begründung des Antrages und ohne Verhandlung abgestimmt. Wird der Antrag angenommen, so wird die Verhandlung abgebrochen und an einem andern Tage fortgesetzt. Die Vertagung kann aber auch von dem Präsidenten vorgeschlagen und mangels eines Widerspruchs in der erwähnten Weise bewirkt werden. Im Prozeß bildet die Vertagung der Verhandlung eine Art der Aufhebung eines Termins. Man unterscheidet hier nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 95, 228, 332) die »Verlegung eines Termins«, die vor dessen Abhaltung erfolgt, von der »Vertagung der Verhandlung« als der im Termin selbst erfolgenden Verschiebung auf einen andern Tag, und von der »Anberaumung eines Termins zur Fortsetzung der Verhandlung«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 111.
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