Articulirtes Verhör

[779] Articulirtes Verhör (Vernehmung über Artikel, Examen articulatum, das articulirte Verfahren im gemeinen Criminalprocesse, articulirte Specialinquisition, Specialinquisition), ist das Verhör über vorher aufgesetzte Fragen (Artikel), bestimmt zur nochmaligen Überlegung der ganzen Sache, zur Erlangung der Bestätigung der früheren Aussagen durch Abfragung der einzelnen Umstände und zur Gewährung klarer Uebersicht für den Richter. Nur in der Form vom Summarischen Verhör (s.d.) verschieden, gründen sich die, nur kurze Beantwortung jeder Frage bezweckenden, in das Einzelne gehenden Artikel, hauptsächlich auf die Ergebnisse der General- u. Specialuntersuchung, welche letztere, wie sie sonst abgesondert war, einziges Überbleibsel des A. V-s ist. Dasselbe galt nach älterem Rechtsbrauch als der erste wesentliche Act des förmlichen Untersuchungsverfahrens u. vertrat hier die Stelle der förmlichen Einlassung auf die Anklage. Der spätere Gebrauch verlegte die Vornahme des A. V-s fast an das Ende des Untersuchungsprocesses u. faßte dasselbe mehr unter den Gesichtspunkt einer feierlichen Resumirung der Ergebnisse des vorausgegangenen Summarischen Verfahrens auf. In neuester Zeit ist das A. V. selbst da, wo noch im übrigen der gemeine Criminalproceß in Uebung ist, fast ganz abgekommen. Nur wird bei schwereren Verbrechen, nach manchen Particulargesetzen u. Gerichtsgebrauch zur Recapstulation der Hauptsachen ein Summarisches Haupt- u. Schlußverhör über Fragen, hier zum Unterschied Punkte, Fragstücke (Interrogatoria) genannt, gehalten. Die bei dem A. V. in Fragform, möglichst kurz, immer nur über einen Umstand abzufassenden Artikel betreffen die Verhältnisse, Eigenschaften, den Lebenslauf etc. des Angeschuldigten im Allgemeinen (generelle, allgemeine Artikel, Articuli generales), od. die angeschuldigte Thatsache insbesondere (specielle, besondere Artikel, Articuli speciales), deren Gegenstand nur die Anschuldigungspunkte sein dürfen, weshalb genügender Verdacht zur Specialinquisition vorliegt. Beide müssen alle actenmäßige, relevante Criminalbeweispunkte erschöpfen. Aendert der Angeschuldigte die früheren Aussagen im A. V., gibt er neue Thatsachen an, so wird er darüber, nach Abbrechung des A. V-s, erst wieder summarisch vernommen u. das A. V. fährt über, nach diesem Summarischen Verhör gefertigte Zusatzartikel, Additionalartikel (Articuli additionales), fort. Findet auch eine Vernehmung von Zeugen über Artikel Statt, so heißen die Artikel für sie Zeugenartikel (Articuli testimoniales), die für den Angeschuldigten Inquisitionalartikel (Articuli inquisitionales), Defensionalartikel (Articulis defensionales) aber sind solche, über welche der Angeschuldigte oder die Zeugen auf Antrag des Defensors zum Zwecke des Entschuldigungbeweises vernehmen lassen. Fast mit dem A. V. beginnt gewöhnlich die Benennung des Angeschuldigten mit Inquisit, eine gewisse Anrüchigkeit, in deren Folge Suspension, bezüglich Remotion von öffentlichen Ämtern, Zünften, Zeugnißablegung etc. Ganz weggefallen ist das A. V. in dem neueren Anklageproceß, mit dessen Mündlichkeit es sich in keiner Weise vertragen würde. Ähnlich ist dagegen noch jetzt die articulirte Zeugenvernehmung im Civilproceß[779] auf den Grund der vom Producenten eingereichten Beweisartikel, s. u. Beweis.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 779-780.
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