Dogmengeschichte

[217] Dogmengeschichte, 1) die Darstellung von der Bildung der christlichen Lehre (Dogmatik); 2) die Schicksale u. Veränderungen in der christlichen Lehre; 3) die Darstellung von der Entstehung späterer, unlauterer Lehrmeinungen der Kirche; eigentlich aber versteht man jetzt darunter 4) die Darstellung der Lehrverschiedenheit über die einzelnen Gegenstände u. Artikel des christlichen Glaubens. Sie zeigt also die Entwickelung, die Veränderungen u. die Kämpfe der christlich-kirchlichen Glaubenslehren, um historisch auszumitteln, was in jeder der verschiedenen Perioden der Ausbildung christlicher Religionserkenntniß theils der orthodoxen Kirche, theils einzelnen Secten als christliche Lehre galt u. wie dieselbe erwiesen, aufgefaßt u. zusammengestellt wurde. Schon vom 2. Jahrh. an im Streite mit den Häretikern stellte man die verschiedenen kirchlichen Ansichten zusammen, u. es gab in der Griechischen Kirche dergleichen Sammlungen seit dem 7. Jahrh unter dem Namen: Κεφάλαια, Χρἡσεις, sowie in der Lateinischen Kirche Schriften über die Sentenzen (Dogmen). Jedoch hatte bes. in der scholastischen Zeit diese Darstellung einen meist polemischen Charakter, der auch in der Reformationszeit sich bemerklich machte. Damals verband man die D. meist mit der Glaubenslehre u. Kirchengeschichte, u. erst seit Semmler wurde dieselbe zu einer selbständigen Wissenschaft erhoben, indem sie nach ihm durch Rößler u. durch Lange (Ausführliche Geschichte der Dogmen, 1796), hauptsächlich aber durch Münscher (Handbuch der christlichen D., Marb. 1797–1809, 4 Bde., reicht nur bis Augustin) u. von Cölln, welcher Münschers Lehrbuch der D. 1819 durch eine Menge Ergänzungen u. Verbesserungen (1832 u. 1834) erweiterte (fortgesetzt von Neudecker 1838), eine wissenschaftliche Behandlung erhielt. Von der Zeit hat man zum Sammeln des Stoffs nicht nur die Quellen immer sorgsamer durchforscht u. die dazu gehörenden Hülfswissenschaften möglichst benutzt, sondern auch die Methode verbessert, u. zwar so, daß, wie z.B. bei Münscher, der Stoff der D. in einer fortlaufenden Erzählung mit Rücksicht auf die allgemeine Gestaltung der Dogmatik u. nach den einzelnen Dogmen erzählt wird, od. so, daß man die D. in eine allgemeine u. specielle D. eintheilt, u. in jener das geistige Leben in der Kirche überhaupt in den einzelnen Perioden u. in dieser die Geschichte der besonderen Dogmen darstellt, wie z.B. Baumgarten-Crusius. Man theilt die D. in die alte, mittlere u. neue ein, in jener hat sich der kirchlich-Lehrbegriff gebildet, in dieser befestigt u. in der letzteren geläutert. Wie es übrigens unter den Protestanten in der Mitte des 18. Jahrh. noch Viel. von der strengeren kirchlichen Partei gab, welche die D., weil sie streng historisch u. kritisch das Ursprüngliche u. Biblische in dem christlichen Glauben von dem in der Kirche Hinzugekommenen sichtete, für eine bedenkliche u. Unheil bringende Wissenschaft hielten; so hat die Römisch-katholische Kirche die D im neueren historisch-kritischen Sinne als Wissenschaft nicht anerkannt, u. die D. ist daher nur von Protestanten bearbeitet worden, so von Münter (Handbuch der ältesten christlichen D. der ersten 4 Jahrh.), Wundemann (Geschichte der Glaubenslehre von Athanasius bis Gregor der Große, 1798 f., 2 Bde.), Augusti (Lehrbuch der christlichen D.), Plank (Geschichte der Entstehung etc. des protestan-Lehrbegriffs), Beck (Comment. histor. decretorum religionis christ.), Stäudlin (Dogmatik u. D., Lehrbuch der Dogmatik u. D.), Berthold (Handbuch der D.), Baumgarten-Crusius (Lehrbuch der D., Jena 1832, Compendium der christlichen D., Lpz. 1840), Kliefoth (Einleitung in die D., Parchim 1839), Engelhardt (Dogmengeschichte, Neustadt a. d. O. 1839, 2 Thle.), F. K. Meier (Lehrbuch der D., Gießen 1840, 2. Aufl. 1854), Hagenbach (Lehrbuch der D., 1840–41, 2 Thle),[217] F. Chr. Baur (Lehrbuch der D., 1847), Gaß (Geschichte der protestantischen Dogmatik, 1854, 2 Bde.), Neander (Dogmengeschichtliche Vorlesungen, herausgeg. von Jacobi, Berl. 1857 f., 2 Bde.). In der Reformirten Kirche: Schweizer (Die protestantischen Centraldogmen in ihrer Entwickelung aus der Reformirten Kirche, 1. u. 2. Hälfte 1854 u. 1856). In der Katholischen Kirche: Lutterbeck (Die Neutestamentlichen Lehrbegriffe etc., 1854, 2 Bde.). Außerdem Monographien über die Geschichte einzelner Dogmen z.B. Dorner (Über die Entwickelungsgeschichte der Lehre von der Person Christi, Stuttg. 1839, 2. Aufl. 1853, unvollendet).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 5. Altenburg 1858, S. 217-218.
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