Gefühl [1]

[55] Gefühl, 1) im Allgemeinen das, mit Ausnahme der Oberhaut, Haare, Nägel, Knochen u. einiger ähnlicher Gebilde, allen Theilen des Körpers, durch Vermittelung der Cerebral- u. Spiralnerven eigenthümliche Vermögen, die Berührungen u. unmittelbaren Einwirkungen der Außenwelt, sowie auch viele, bes. krankhafte Vorgänge im Organismus selbst körperlich, jedoch nicht in der Weise der übrigen Sinne, zu empfinden (fühlen). Es läßt uns im Allgemeinen die rein mechanischen Eigenheiten der Körper, die Art u. Weise, wie diese den Bewegungen unseres Körpers hemmend entgegentreten, wahrnehmen, u. nur einige Modificationen des G-s von Wärme u. Kälte lassen uns mehr dynamische u. chemische Wirkungsarten der Außendinge, welche auf den Organismus, die Lebenskräfte örtlich od. allgemein erhöhend, od. niederdrückend, ja selbst lähmend u. das organische Gefüge zerstörend einwirken, durch charakteristische, theils angenehme, theils lästige od. schmerzhafte Empfindungen wahrnehmen. Krankhafte Empfindungen im Inneren des Körpers erscheinen unserem G. unter dem Bilde mechanischer od. chemischer Beeinträchtigungen, als Drücken, Stechen, Schneiden, Brennen etc. Auch die übrigen Sinnesorgane sind dem G. nicht verschlossen u. können, ganz unabhängig von ihren eigenthümlichen Functionen, Wohlbehagen u. Schmerz empfinden, wiewohl durch letzteren, od. vielmehr durch die Ursache desselben, nicht selten ihre specielle Sinneswirkung beeinträchtigt wird. Das G. unterscheidet sich vom Gemeingefühl (s.d.) durch Deutlichkeit, Klarheit u. Örtlichkeit der Empfindung u. wird, sofern es an einzelnen Organtheilen, bes. an den inneren Flächen u. Spitzen der Finger, vorzüglich bestimmt hervortritt, zum Tastsinn (Getast, Gefühlssinn). Dieser dient bes. dazu, um sich über die Form, Größe, Härte u. Weichheit, Glätte u. Rauheit, Temperatur, Beweglichkeit od. Unbeweglichkeit eines Körpers zu unterrichten, mit welchem das tastende Organ in unmittelbare Berührung gelangen kann. Der Tastsinn kann durch viele Übung zu bewundernswürdiger Schärfe, Genauigkeit u. Feinheit ausgebildet werden, so bei Blinden. Täuschungen kommen auch bei diesem Sinne vor (s. Haptische Täuschungen), bei denen sich aber der aufmerksame Beobachter leichter als bei anderen Sinnen zurecht finden kann. Die G-e beruhen auf dem, bes. im Menschen ausgebildeten Gefühlsvermögen, welches, nebst dem Vorstellungs- u. Begehrungsvermögen u. mit diesem im unzertrennlichen Verein, die Seele selbst ist. Man unterscheidet: angenehme u. unangenehme, bestimmte u. unbestimmte, dunkle u. klare, wahre u. erkünstelte G-e etc. Nach den Quellen, aus denen sie entspringen, unterscheidet man sinnliche, geistige, wohin bes. die ästhetischen G-e zu rechnen, u. vernünftige, wohin das sittliche u. religiöse G. gehört. 2) (Ästh.), die mittelbare Thätigkeit des Reflectionsvermögens od. der Urtheilskraft, indem man, ohne sich der Gründe klar bewußt zu werden, etwas für wahr od. falsch, schön od. häßlich, gut od. schlecht hält. Vgl. Krug, Grundlage zu einer neuen Theorie der G-e, Königsb. 1823; Beneke, Skizzen zur Naturlehre der G-e, Gött. 1825; Neubig, Gefühlslehre, Bair. 1829; H. Becker, Über das Wesen des G-s, Münch. 1830; Ed. Schmidt, Erster Versuch einer Theorie der G-e, Berl. 1831.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 55.
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