Mutter [1]

[597] Mutter (Mater), 1) Person weiblichen Geschlechts, welche einem od. mehren Kindern durch Geburt ein selbständiges Dasein gab, in Bezug auf diese. Unter allen Lebensverhältnissen, in denen Menschen zu einander stehen, ist das von M. u. Kind von der Natur selbst zu allernächst vermittelt. Mag auch der Anspruch, welchen ein Vater, nach den gesetzlichen Verfassungen aller Staaten, auf ein neugeborenes Kind hat, mindestens gleich groß, wo nicht überwiegend, mit dem der M. sein, die Natur tritt immer auf die Seite der M., in deren eignes Dasein das Kind, so lange es noch im mütterlichen Körper seiner Selbständigkeit entgegenreifte, selbst auf das Innigste verschlungen war. Daher ist schon unter den Instincten der Thiere die Fürsorge der Thiermütter für ihre Jungen in der frühesten Zeit ihres Eigenlebens der mächtigste. Nur bei Thieren der niedrigen Stufen hat es die Natur selbst übernommen für die nur im Keimen u. als Brut aus dem mütterlichen Körper getretenen neuen Wesen zu sorgen. Sie ersetzt dann durch die Menge der als Brut von einem früheren individuellen Leben gelösten neuen organischen Wesen den großen Abgang, welcher durch Zerstörung der Keime noch vor ihrer Entwickelung im Reiche des Lebendigen entsteht. Wo es aber, wie bes. in höhern Thierklassen, darauf ankommt, daß die durch die Zeugung belebten Thierkeime auch in der Mehrzahl erhalten werden, setzte die Natur solche, nach Ablösung vom mütterl ichen Körper, auch unter die Obhut des mütterlichen Instincts, welcher schon bei Vögeln theilweise gegen die gelegten Eier, entschieden aber gegen die durch Ausbrüten aus deufel den hervorgelockten Jungen sich äußert. Im Menschengeschlechte veredelt sich der Mutterinstinct der Thiere zur Mutterliebe, u. diese steigt u. wächst, je mehr das geborene Kind unter der mütterlichen Pflege reist. Jede M. ist von Natur auch zur Säugerin ihres Kindes bestimmt, u. auch diese Fürsorge belohnt sich, wie jede Erfüllung von Mutterpflicht, durch erhöhtes Liebesgefühl gegen dasselbe. In Folge desselben strebt jede M., deren Sein nicht im zerstreuenden Weltleben od. unter der Bürde der durch die Noth gebotenen Geschäfte, von ihrer Mutterbestimmung abgelenkt wird, ihrem Kinde jeden Augenblick seines Lebens Freude zu machen, ihm angenehme Gefühle zu erregen u. zu erhalten. Soll aber das Kind durch Mutterliebe nicht verzärtelt u. von seiner Lebensbestimmung abgelenkt werden, so müssen die selbst von der Natur geknüpften Bande der Neigung einem höhern geistigen Principe, der Vernunft, untergeordnet werden, um so mehr, wenn, wie vorwaltend bei Knaben, der Zögling zeitig in sich selbst seine eigentliche Stütze erfassen soll. Jede M., ihrem bloßen Gefühle folgend, denkt auch beim herausgewachsenen Sohne mehr an die Sicherung des Bestehenden im Leben, als an Erlangung von noch Bedürfendem, wenn es nicht ohne Kampf errungen wird; daher Muttersorge das ganze Leben hindurch auch das Gemüth viel tiefer erfüllt, als die überhaupt mehr aus Reflexion als Gefühl hervorgehende Vatersorge. 2) Diejenige, welche Mutterstelle vertritt, in Verwandtschaftsverhältnissen, wie: Stief-, Schwiegermutter; 3) diejenige, welche die mütterliche Fürsorge über Kinder u. junge Personen übernimmt, durch förmliche Adoption od. sonst, wie Pflegemutter, Waisenmutter etc.; 4) diejenige, welche in einer höhern Lebensstellung auch Achtung von den ihr Untergebenen gleich einer M. erhält; so wird eine Landesfürstin als Landesmutter, eine Äbtissin in Klöstern als hochwürdige M. bezeichnet; 5) diejenige, welche Verrichtungen übernimmt, wie gewöhnlich eine M. in Familien, so: Hausmutter, auch als Vorsteherin einer großen Wirthschaft, wo auch keine Kinder sind; 6) auch bei Thieren, ein Thier, welches Junge geworfen hat, in Bezug auf dieses; 7) ein blos zur Zucht bestimmtes weibliches Hausthier, so: Mutterpferd, Mutterschwein, Mutterschaf.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 597.
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