Nicolai-Bahn

[345] Nicolai-Bahn, Nikolajewskaja doroga. Geschichte. Durch kaiserlichen Befehl vom 1. Februar 1842 wurde der Bau dieser Bahn, über den lange Verhandlungen geführt worden waren, angeordnet. Alle Bedenken, die der Minister der Verkehrsanstalten über die unüberwindlichen technischen Schwierigkeiten, die die tiefen Sümpfe und die großen Waldaihöhen dem Bau entgegenstellen würden, nicht minder die Bedenken des Finanzministers hinsichtlich der großen Kosten, die keinen Ertrag versprachen, waren nunmehr beseitigt.


Auch in der Beziehung kam der eiserne Wille des Monarchen zum Ausdruck, daß er kurzerhand alle Wünsche, Bedenken und Einwendungen über die Linienführung dadurch beseitigte, daß er am 14. April 1843 auf einer Karte St. Petersburg und Moskau durch einen geraden Strich miteinander verband und bestimmte, daß so die Linie geführt werden solle. So kam es, daß die Entfernung der beiden Residenzen, die in der Luftlinie 598 Werst betrug, sich in Wirklichkeit auf nur 604 Werst verlängerte.

So sehr durch diese Bestimmung der Bau erschwert und auch die Baukosten erhöht wurden, so bleibt es doch ein Verdienst des Monarchen, denn die N. ist und bleibt die wichtigste Verkehrsstraße zwischen dem großen Stapelplatz für russische und asiatische Erzeugnisse: Moskau, und dem zurzeit noch größten Ausfuhrhafen an der Ostsee: St. Petersburg. Volkswirtschaftlich war es zweifellos der einzig richtige Gedanke, diese beiden wichtigen Punkte auf kürzestem Wege miteinander zu verbinden.


Der Bau wurde im Sommer 1843 begonnen, schritt aber sehr langsam fort. Erst am 7. Mai 1847 wurde die Strecke St. Petersburg-Kolpino (25 Werst), im Juli 1849 die Strecke Kolpino-Twer (428 Werst), am 1. November 1851 die Strecke Twer-Moskau (151 Werst) fertiggestellt und damit die ganze Bahn für den Verkehr eröffnet. Schon im Jahre 1860 zeigte es sich, daß die Finanzen des Reiches, namentlich durch den Krimkrieg, so sehr in Anspruch genommen waren, daß es unumgänglich notwendig wurde, Mittel zu beschaffen, um sowohl den Weiterbau der dringend notwendigen Eisenbahnen zu ermöglichen, als auch um den Kredit des Reiches zu heben. Zur teilweisen Erreichung dieses Zieles1 wurde der Verkauf der N. an die »Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen« grundsätzlich vom Kaiser genehmigt. Die Verhandlungen zogen sich bis zum 9. Juni 1868 hin, an welchem Tage der Kaiser die Verkaufsbedingungen genehmigte. Am 1. September 1868 erfolgte die Übergabe der ersten Staatseisenbahn Rußlands an die, ihrem Wesen nach, ausländische »Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen«. Die Gesellschaft erhielt die N. auf 84 Jahre, doch behielt sich die Staatsregierung das Recht vor, nach 20 Jahren die N. anzukaufen. Die Gesellschaft war neben allem andern noch verpflichtet, 14 Mill. Rubel für bauliche Erneuerungen der Anlagen und Vermehrung des rollenden Materials zu verwenden.

In der Verwaltung der »Großen Gesellschaft der russischen Eisenbahnen« ist die N. bis zum 9. Februar 1894 verblieben, an welchem Tage der Allerhöchste Befehl erfolgte, die Bahn anzukaufen und wieder in staatliche Verwaltung zu übernehmen.

Von da ab ist die Bahn wiederum im Staatsbesitz und in staatlicher Verwaltung verblieben, ihr sind jedoch noch mehrere Bahnen zur gemeinschaftlichen Verwaltung angegliedert worden, so daß sie heute umfaßt:


Nicolai-Bahn

Demnach umfaßt die unter dem Namen »Nicolai-Bahn« verwaltete Gruppe von Bahnen überhaupt 1496 Werst (= 1596 km).

Finanzierung. Die N. war die erste Eisenbahn Rußlands, die für Rechnung des Staates erbaut und betrieben wurde. Die Kosten haben insgesamt 64,664.751 Rubel oder für 1 Werst 107.061 Rubel betragen. Sowohl dieser Betrag, als auch die in der Folgezeit notwendigen Summen für Ergänzungen sind aus inneren Anleihen, aus solchen bei Banken und durch Ausgabe von Reichsbankbilletten gedeckt worden.

Der Grund für den Verkauf der Bahn (1868) lag in der allgemeinen, bedrängten Kreditlage des Staates (s. Russische Eisenbahnen, Finanzierung). 105∙9 Mill. Rubel wurden erzielt. Die »Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen« erhielt als Käuferin für die Obligationen eine Zinsgewähr von 4%.

Als der Staat im Jahre 1894 die N. zurückkaufte, war ihr Netz durch Anschluß neuer Strecken wesentlich erweitert. Es läßt sich[345] daher nicht mehr feststellen, wieviel der Staat beim Rückkauf für die frühere N. allein gezahlt hat.

Beim Ankauf der Bahnen der »Großen Gesellschaft der russischen Eisenbahnen« übernahm der Staat die staatlich gewährleistete Obligationenschuld der Gesellschaft, zahlte für die Aktien sowie für die Einlösung der Gründeranteilscheine zusammen 110,048.250 Rubel Met. und außerdem der Gesellschaft in runder Summe 5,000.000 Rubel Kredit oder 3,518.625 Rubel Met. in staatlich sichergestellten, 4%igen Obligationen, demnach stellt sich der Ankaufspreis auf 113,566.875 Rubel Met. neben der Übernahme der ganzen Obligationenschuld.


Bau und Ausrüstung. Mit Rücksicht auf die vom Kaiser festgelegte Linienführung ergeben sich beim Bau mancherlei Schwierigkeiten. Hierher gehören die Durchquerung der vielen Sümpfe, die Überschreitung der Flüsse an hierzu wenig geeigneten Stellen, endlich die Überwindung der Waldaihöhen. Der Höhenunterschied zwischen St. Petersburg und Moskau beträgt 132∙9 m, die Waldaihöhe macht aber die Überschreitung eines Punktes von 207∙6 m notwendig. Die Brücken wurden sämtlich aus Holz auf Steinpfeilern ausgeführt, so auch die viel bewunderte Brücke über den Msta-Fluß. Sie war 552 m lang, hatte 9 Öffnungen von je 61∙25 m, brannte aber am 17. Oktober 1869 ab, was den Anlaß dazu gab, die sämtlichen Brücken aus Stein und Eisen neu zu erbauen. Für die neue Brücke über die Msta wurde jedoch ein anderer Übergangspunkt gewählt, wodurch eine Umgehungslinie von 5 km notwendig wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde auch eine Steigung von 15∙47 km Länge von 0∙008 auf 0∙006 vermindert. Im allgemeinen waren die Steigungsverhältnisse günstige, denn es lagen 14∙3% in der Wagrechten, 79% in einer Steigung von 1–5, 6∙7% in einer Steigung von 5–10%.

Weit günstiger, man kann wohl sagen eigenartig, sind die Krümmungsverhältnisse, denn 91% liegen in der Geraden und nur 9% in Krümmungen von einem Halbmesser von mehr als 640 m. Für den Gleisbau sind ursprünglich Eisenschienen mit Holzschwellen verwendet worden, aber bereits Ende der Achtzigerjahre befanden sich im Hauptgleise ausschließlich Stahlschienen mit Holzschwellen.

Über die ursprüngliche Ausrüstung der N. fehlen Angaben.

Verkehr. Für weiter zurückliegende Jahre sind zurzeit Angaben nur über die Einnahmen und Ausgaben verfügbar, die natürlich nur einen Maßstab dafür abgeben, wie sich der Verkehr entwickelt hat.

Es ergab:


Nicolai-Bahn

Über die Entwicklung des Verkehrs im einzelnen sei folgendes mitgeteilt:

Personenverkehr. Es sind befördert:


Nicolai-Bahn

Güterverkehr.


Nicolai-Bahn

Literatur: Geschichtliche Darstellung des Betriebs der N., während der Verwaltung der Bahn durch die Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen 1868–1893. Zusammengestellt von der Betriebsdirektion der Bahn, St. Petersburg. Dezember 1895. – Unsere Eisenbahnpolitik (Nascha sheljesno doroshnaja politika), St. Petersburg, 1902. Ausgabe der Kanzlei des Ministerkomitees. – Statistisches Sammelwerk des[346] Ministeriums der Verkehrsanstalten, St. Petersburg. (Statistitscheski sbornik ministerstva putei ssoobschtschenija.)

Mertens.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 345-347.
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