Rein

[972] Rein. (Musik)

Man braucht dieses Wort bey zweyerley Gelegenheiten in der Musik, von einzeln Tönen, und von Intervallen. Man sagt eine Sayte, eine Flöte, habe einen reinen Klang; die Stimme eines Sängers sey vollkommen rein. Die Reinigkeit des Klanges einer Sayte kommt daher, daß sie blos regulaire oder harmonische Schwingungen macht,1 und er wird unrein, wenn diese durch andre Schwingungen gestöhrt werden; welches geschieht, wenn die Sayte nicht durchaus gleich dik ist, auch geschehen kann, wenn sie zu wenig gespannt ist, und so schlecht angeschlagen, oder gestrichen wird, daß sie nicht gleich in ihrer ganzen Länge die Schwingungen macht.

Durch reine Intervalle versteht man die, deren beyden Töne genau die ihnen zukommenden Verhältnisse haben; wenn z.B. die Octave genau 1/2, die Quinte 2/3 die große Terz 4/5 u.s.f. des Grundtones ist2; übersteigen sie dieses genaue Verhältnis, oder bleiben sie darunter, so sind sie unrein. Es ist eine für den Tonsezer wichtige Anmerkung, daß je vollkommener das Consoniren eines Intervalls ist, es um so viel genauer rein seyn müsse. Denn da alle Orgeln und Claviere temperirt werden müssen3, so ist es wichtig, daß das Abweichen von der Reinigkeit auf die Intervalle gelegt werde, die es am besten vertragen.

Die Octave verträgt wegen ihrer ganz vollkommenen Harmonie gar keine Abweichung von ihrer Reinigkeit. Die Quinte, welche nächst der Octav am vollkommensten harmonirt, verträgt sehr wenig; kein Comma, dadurch würde sie schon unangenehm. [972] Die große Terz, als weniger vollkommen, verträgt mehr, als die Quinte; doch schweerlich mehr, als ein Comma; die kleine Terz verträgt noch etwas mehr, und die Dissonanzen noch mehr.

Dieses empfindet ein gutes Ohr; indessen ist es auch nicht schweer den Grund davon einzusehen, der überhaupt darin liegt, daß bey größerer Vollkommenheit die kleinen Unvollkommenheiten empfindlicher sind, als bey geringerer Vollkommenheit. Ein kleiner Fleken, der auf einem eben nicht schönen Gesichte kaum merklich ist, verstellt eine vollkommene Schönheit, und wird da anstößig.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 972-973.
Lizenz:
Faksimiles:
972 | 973
Kategorien: