Titus Flavius Vespasianus

[318] Titus Flavius Vespasianus, einer der ruhmwürdigsten unter den zwölf Römischen Kaisern, obgleich vielleicht seiner Geburt nach am wenigsten für den Thron bestimmt. Aus einer unberühmten Familie in dem Flecken Reate, in der Sabinischen Landschaft, geboren (9 J. nach Chr. Geb.), ward er nach und nach Quästor, Aedil, Prätor, und da er im Kriege gegen die Britten sich sehr hervorthat, erlangte er auch das Consulat und die Statthalterschaft in Asien. Da er aber als Begleiter des Nero auf einer Reise nach Griechenland das Unglück hatte, einmahl, als ihm dieser kaiserl. Virtuos seine Verse vorlas oder vorsang, darüber – einzuschlafen, so zog ihm dieß Verbrechen die Ungnade jenes Fürsten zu, der diese Vermessenheit nicht eher vergaß, als bis er bei der Empörung der Juden eines tüchtigen Heerführers, der aber auch wegen seiner Herkunft nicht etwa zu fürchten wäre, bedurfte. Vespasian schien ihm ganz dazu der Mann zu sein. Dieser führte denn auch mit dem glücklichsten Erfolg den Krieg, schlug die Rebellen, belagerte endlich auch, nachdem er ihnen viel Orte weggenommen hatte, Jerusalem (obgleich dessen Eroberung erst seinem Sohne Titus vorbehalten war), und machte sich nach und nach bei den Legionen des Orients so beliebt, daß diese ihn nach Vitellius Todte (im J. Chr. 69) zu Alexandria zum Kaiser ausriefen. Seine Reise nach Rom im J. 70 war unaufhörlich von dem Jubel des Volks, das ihn seinen Wohlthäter, den Retter des Staats und den [318] einzigen würdigen Imperator nannte, begleitet. Und selten wurde wohl die große Erwartung der Unterthanen in solch einem Grade erfüllt, als bei diesem, obgleich er nun schon sein 60. Jahr angetreten hatte. Zuerst führte er unter den ausgearteten Soldaten die Ordnung wieder ein; erhob und ergänzte den Senat und Ritterstand; verbesserte die Verwaltung der Justiz, und kürzte den Gang der Prozesse ab; strafte grobe Ausschweifungen, und ging in seinen Sitten selbst mit dem trefflichsten Beispiel voran. Güte und Großmuth zeichneten seine Regierung aus; er rächte sich nicht für vorher empfangene Beleidigungen, und strafte Verschwörungen gegen sich nicht, wie sie es verdienten. Nur Einmahl zeigte er eine unbegreifliche Strenge, die in Grausamkeit ausartete, gegen Sabinus, einen angesehenen Gallier, der sich in Empörung eingelassen, nachher auf sein Landgut begeben, es angesteckt und von sich selbst die Nachricht seines Todtes verbreitet, und so ganz in geheim mit seiner treuen Gemahlin, Epponina, über 9 Jahre in einer Höhle gelebt hatte. Sie wurden endlich dennoch entdeckt, mit ihren Kindern nach Rom geführt, und der Kaiser, zwar von dem Heldenmuth der Epponing bis zu Thränen gerührt, ließ dennoch die beiden Gatten – zum allgemeinen Entsetzen – hinrichten, und schenkte bloß den Kindern das Leben.

Seine Sorge für Wissenschaften und Künste hob ihn über seine Vorgänger sehr empor: durch ansehnliche Gehalte und Geschenke munterte er die Lehrer auf; und sorgte so auch für die Verschönerung und Wiederherstellung der durch den Brand des Nero so sehr verwüsteten Stadt. Nicht bloß öffentliche Gebäude ließ er schöner noch wieder herstellen, sondern auch das Capitol wurde auf seinen Befehl mit noch größerer Pracht wieder aufgebaut. Einen überaus schönen Tempel des Friedens, ein neues Amphitheater für 87,000 Zuschauer (dessen Reste noch jetzt unter dem Namen: il Coloseo bekannt sind) waren Werke seiner Fürsorge, die sich zugleich auf andre Städte, besonders auch auf die Heerstraßen (z. B. die Flaminische) erstreckte. – Schade, daß diesen trefflichen Charakter seine Geldbegierde und seine Leidenschaft fürs zweite Geschlecht einiger Maßen verdunkelten! Jene ging so weit, daß er sich öffentlich mit Handeln [319] abgab, Aemter und Stellen bisweilen verkaufte, auch wohl neue Abgaben einführte etc. und als sein Sohn Titus einst es mißbilligte, daß er sogar auf den Urin eine Abgabe legte, zeigte er ihm die erste daraus eingegangene Summe und fragte ihn: Riecht dieses Geld übel? Freilich mochte der sehr verschuldete kaiserliche Schatz, und die gute Anwendung, die er doch von dem Gelde machte, einiger Maßen zur Entschuldigung dienen. Auch seine Leidenschaft für eine seiner Beischläferinnen, Cenis, die dieß eigennützige Geschöpf zu Erpressungen und Mißbräuchen des kaiserlichen Ansehens, ja sogar zu Unterschriften verleitete, macht einen Flecken in dem sonst trefflichen Charakter des Vespasian. Er starb in seinem 70. J. (79 nach Chr. Geb.) mit Gleichmuth und Standhaftigkeit. »Ich bin auf dem Wege ein Gott zu werden« sprach er scherzend (denn gewöhnlich vergötterten die Römer ihre Imperatoren nach dem Todte); und als nun sein Lebensende völlig nahte, richtete er sich mit angestrengten Kräften auf, und mit den Worten: »Ein Kaiser muß stehend sterben!« – verschied er in den Armen der Umstehenden! Sein ältester Sohn, Titus, war sein würdiger Nachfolger. (S. dies. Art.)

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 318-320.
Lizenz:
Faksimiles:
318 | 319 | 320
Kategorien: