Dissidenten

[574] Dissidenten, d.i. Andersdenkende, hießen im ehemaligen Königreiche Polen seit 1573 alle nicht zur herrschenden röm.-katholischen Kirche sich bekennende Christen, jedoch mit Ausnahme der Socinianer, Wiedertäufer und Quäker [574] Es hatten nämlich die Grundsätze der Kirchenreformation in Polen schnelle Verbreitung und so viel Anhänger gefunden, daß 1570 ein großer Theil der Bevölkerung und die Hälfte des Senats und Adels sich namentlich zur lutherischen und reformirten Kirche bekannte und das Bedürfniß, vielfachen Irrungen ein Ziel zu setzen und größern vorzubeugen, 1573 den Abschluß eines Religionsfriedens zur Folge hatte, der den Dissidenten den Genuß aller bürgerlichen Rechte und völlige Religionsfreiheit zusicherte. Die Bischöfe unterzeichneten jedoch diese Übereinkunft nicht, indem unklugerweise nichts über die gegenseitigen Verhältnisse und Rechte der verschiedenen Kirchen bestimmt war, daher die Dissidenten bald bei jeder Gelegenheit beeinträchtigt und allmälig ihrer Rechte wieder beraubt wurden. Unter König August II. wurde ihnen 1717 selbst das Stimmrecht auf dem Reichstage entzogen, der Bau neuer protestantischer Kirchen verboten und noch größere Bedrückungen traten unter August III. wider sie ein, obgleich Preußen, Schweden, Dänemark und besonders Rußland sich ihrer annahmen. Letzteres benutzte diese Religionszerwürfnisse insbesondere mit als Vorwand seiner Einmischung in die poln. Angelegenheiten, brachte 1767 einen Vergleich zu Stande, der die Dissidenten den Katholiken wieder gleichstellte, und 1768 hob der Reichstag die ihnen nachtheiligen Beschlüsse auf. Gleichwol wurden sie darin nach der ersten Theilung Polens durch den 1775 gehaltenen Reichstag wieder verkürzt, indem man ihnen den Eintritt in den Senat versagte und ihre Zahl unter den Landboten und bei andern Gelegenheiten beschränkte, bis mit der dritten Theilung von Polen 1795 auch die Dissidenten den Gesetzen der theilenden Nachbarreiche unterworfen wurden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 574-575.
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