Wiedertäufer

[711] Wiedertäufer, Anabaptisten, Katabaptisten werden seit ihrem Aufkommen im 16. Jahrh. von ihren Gegnern diejenigen Christen genannt, welche die Kindertaufe verwerfen und blos die Taufe an zu gründlicher Überzeugung fähigen Erwachsenen vollzogen wissen wollen, daher auch die zu ihren Sekten Übertretenden durch wiederholte Taufe aufnehmen. Die Kindertaufe, welche die älteste christliche Kirche allerdings nicht kannte, war schon lange vor der Reformation von John Wiclef (s.d.) in England und mehren nach dem reinen Christenthume trachtenden Religionssekten in Frankreich, in Böhmen und der Schweiz bestritten worden. Nach begonnener Reformation erneuerte sich das auf den Grund der Bibel, als Quelle aller christlichen Erkenntniß, besonders in der Schweiz, in Deutschland und Holland. Schwärmer gesellten dazu bald Träumereien von Stiftung eines himmlischen Reichs auf Erden, Einführung von Gütergemeinschaft und völliger Gleichheit aller Christen und wollten weder das kirchliche Lehramt noch obrigkeitliche Gewalt anerkennen, weil in der wahren Kirche Jeder das Gesetz von selbst erfülle, vom göttlichen Geiste getrieben werde und das innere Wort mehr gelte als das äußere. In Deutschland traten seit 1521 vorzüglich zwei Tuchfärber, Nikolas Storch und Marcus Thomä mit den gebildetern Martin Cellarius (Keller), Marcus Stübner und Thomas Müntzer zu Zwickau in Sachsen in diesem Sinne auf, nannten sich auch die neuen Propheten und rühmten sich göttlicher Offenbarungen. Beim gemeinen Manne, besonders im westl. und südl. Deutschland, auch in der Schweiz, gewannen sie rasch bedeutenden Anhang und das schwer gedrückte Landvolk erhob sich zum Bauerkriege, dessen blutige Unterdrückung mit zahllosen Andern, auch Thomas Müntzern 1525 den Tod von Henkershand brachte. (S. Bauernkrieg.) Diesem Beispiele und aller von Kaiser und Reich angedrohten Strafen ungeachtet waren doch Wiedertäufer in der nächsten Zeit überall zu finden und in Baiern breiteten vorzüglich Joh. Hutter, Jakob Kürschner und Sigmund Sallin, im nördl. Deutschland Melchior Hoffmann ihre Lehren aus, ein Kürschner aus Schwaben, der 1540 im Gefängnisse zu Strasburg starb. In Kiel und 1529 in Emden hatte er das nahe Messiasreich auf Erden verkündet und vor seiner Abreise seiner Gemeinde in dem Bäcker Matthysen aus Harlem und Jan Trypmaker zwei Vorsteher gegeben. Den Letztern führte sein Eifer zu lehren nach Holland, wo er aber verhaftet und im Haag hingerichtet wurde. Vergeblich rieth Hoffmann hiernach zum Abwarten, der eifrige Matthysen sandte sechs Paar Apostel aus, von denen auch zwei nach Münster kamen, das bald der Schauplatz der tollsten Verirrungen und gräßlichsten Unthaten dieser Sekten wurde. Sie fanden an dem bisher sehr besonnenen, zum evangelischen Glauben sich bekennenden Kapellan Rothmann und den angesehenen Bürgern Knipperdolling und Krechting schwärmerisch eifrige Mitarbeiter, doch kam es erst zu den[711] gröbsten Ausschweifungen, nachdem der Schneider Jan Bockhold oder Beukelsson aus Leyden, Gerrit, der Buchbinder aus Amsterdam und Matthysen selbst dort angelangt waren. Sie trieben bald mit Hülfe ihnen zulaufenden Gesindels ihre Gegner aus der Stadt, wo erst wie über Israel zwölf Richter eingesetzt, bald aber Bockhold als Johann von Leyden zum König des neuen Zions gewählt und gekrönt wurde (1534). Alle Ausschweifungen wilder Schwärmerei, unmenschlicher Grausamkeit, wollüstiger Raserei tobten nun in der zugleich vom Bischofe von Münster belagerten Stadt. Die Kirchen wurden verwüstet, alle gesetzliche Ordnung aufgehoben, Vielweiberei eingeführt, jedem anders Gesinnten drohte der in allen Genüssen schwelgende Bockhold mit dem Tode und ließ auch Viele hinrichten; dennoch ward die von Hunger und Seuchen heimgesuchte Stadt hartnäckig vertheidigt, und wenn auch am Ende (24. Jan. 1535) durch Verrath, doch nicht ohne tapfern Widerstand eingenommen. Matthysen und Rothmann waren vorher im Kampfe gefallen, die andern Anführer aber erlitten einen martervollen Tod (s. Münster), ohne daß dadurch alle Anhänger des schwärmerischen Glaubens an die Stiftung eines neuen Reichs reiner Christen und andere Wiedertäuferlehren abgeschreckt wurden, dieselben weiter zu verbreiten, wenn sie auch gegen die Gütergemeinschaft, die Vielweiberei und zu Münster eingerissenen Greuel sich erklärten. Ein gewisser Dav. Joris, Glasmaler aus Delft, der unter dem Namen Johann v. Brügge als Bürger von Basel dort unbescholten und als Reformirter 1556 starb, ward als ehemaliger Wiedertäufer noch drei Jahre nach seinem Tode verbrannt. Noch bis über die Mitte des 16. Jahrh. hinaus störten bald da bald dort wiedertäuferische Unruhen die bürgerliche Ordnung, wurden aber stets blutig unterdrückt, während die stillen Anhänger ihrer Lehren wenigstens in evangelischen Ländern bald unbesorgt für ihr Leben sein konnten. Simons Menno (s.d.) erwarb sich um diese Zeit das große Verdienst, der eingerissenen Schwärmerei und dem Fanatismus der Taufgesinnten mit Besonnenheit entgegenzuwirken und die Zerstreuten in wohlgeordnete Gemeinden besonders im nördl. Deutschland und den Niederlanden zu vereinigen, die daher auch geduldet wurden und deren Mitglieder nach ihm auch Mennoniten heißen. Abgesehen von der Ansicht wegen der Taufe, gehörten zu seinen wesentlichsten Abweichungen von der herrschenden Kirche das Verbot aller Theilnahme am Kriege, des Schwörens, die Geringachtung von Gelehrsamkeit. Schon vor seinem Ableben bestanden Spaltungen über die strengere oder mildere Anwendung des Kirchenbanns und die milder Gesinnten hießen von ihrem Wohnorte Waterländer, wurden aber von den Strengen oder sogenannten Feinen nur die Groben und Dreckwagen gescholten. Nach Menno's Tode zerfielen die Feinen in drei Parteien der Flaminger oder Feinsten, der minder strengen Friesen und der von letztern nur durch weltlichere Gewohnheiten unterschiedenen Deutschen. Die unternommenen Vereinigungsversuche hatten keinen allgemeinen Erfolg und führten theilweise zu neuen Absonderungen. So entstand in der Gegend von Gröningen seit 1639 um einen Landmann, Uke Wallis, eine Vereinigung der jeder Milderung der Strenge der alten Flaminger Abgeneigten und nannte sich Gröninger oder Ukewallisten, bekam aber von ihren Gegnern die Namen Dompeler oder Untertaucher, weil das dreimalige Untertauchen des ganzen Körpers bei der Taufe von ihnen angewendet wurde, während die übrigen das Benetzen des Hauptes für ausreichend halten. Die Zeit hat indessen auch bei den Taufgesinnten die Vermittlerin gemacht und von den sogenannten Feinen oder alten Flamingern bestehen nur noch die Gemeinden im Dorfe Balk in Friesland, auf der Insel Ameland und in Aalsmeer bei Amsterdam. Außerdem halten auf gleiche Strenge die nicht zahlreichen Gemeinden in Danzig, Marienburg, Ost- und Westpreußen und in Galizien, wo noch etwa 24 Familien einfacher Landleute als Überrest der vordem in Mähren verbreiteten Taufgesinnten vorhanden sind. In den Niederlanden, wo ihr Hauptsitz ist und sie seit 1578 Bürgerrecht und Befreiung von Eidesleistung und Kriegsdiensten genießen, sind seit 1811 durch Gründung der allgemeinen Taufgesinntensocietät, unbeschadet etwaiger Abweichungen in der Lehre, alle Gemeinden, deren noch 194 sind, enger verbunden und haben in der Regel wissenschaftlich gebildete Prediger. In Deutschland findet man besonders in den Rheingegenden Taufgesinnte; im südl. Rußland haben sich seit Anfang dieses Jahrh. ebenfalls einige Gemeinden angesiedelt und da sie im begründeten Rufe betriebsamer und ruhiger Unterthanen stehen, werden sie gern geduldet. Auch nach Nordamerika kamen im 17. Jahrh. viel Taufgesinnte und gründeten noch bestehende Gemeinden. Von deutschen Wiedertäufern stammen insbesondere die Brüderschaften der Dunkers in Pennsylvanien und Maryland ab, welche noch das Verbot des Schwörens, Waffentragens und Zinsennehmens beobachten und Täuflinge wie die Dompeler vollständig untertauchen. Durch Verheirathung hört man bei ihnen auf, zu den vollkommenen Brüdern und Schwestern zu gehören, wie die Ledigen heißen, und wird nun Verwandter der Gemeinde, aus deren durch Arbeit erworbenem Vermögen aber der Unterhalt der Einen wie der Andern bestritten wird. – Außer näherer Verbindung mit den alten Wiedertäufern, von welchen in England keine Flüchtlinge Schutz fanden, sondern die verfolgt und verbannt wurden, entstand dort im Anfang des 17. Jahrh. die Sekte der Baptisten, welche auch in Nordamerika verbreitet ist. Mit den Taufgesinnten hat sie nur die Taufe der Erwachsenen gemein.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 711-712.
Lizenz:
Faksimiles:
711 | 712
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.

358 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon