Propheten

[584] Propheten (die) waren im israelitischen Alterthum gottbegeisterte Männer, die der Mosaischen Religionsverfassung schützend zur Seite standen und dieselbe auf alle Weise wirksam zu machen suchten, weshalb sie Männer Gottes, Boten und Knechte Jehova's und Wächter genannt werden. Der Ursprung des Prophetenthums beginnt mit dem wankenden Glauben an das unsichtbare Königthum Jehova's, dem Grundgedanken der Mosaischen Gesetzgebung, im Zeitalter Samuel's, des letzten Richters, der selbst Prophet war und den Stand der Propheten durch Errichtung der Prophetenschulen für die Zukunft feststellte. Diese waren Anstalten zur Bildung der Lehrer und Führer des Volkes und befanden sich in mehren Städten des jüdischen Landes, zu Rama, Jericho, Bethel, Hilgal. In ihnen sollten ausgewählte Knaben und Jünglinge, die beisammen lebten, in den Lehren des Gesetzes unterrichtet und in den tiefen Geist der Religion eingeführt und zugleich geübt werden, religiöse Begeisterung in Gesang und Rede auszusprechen. Auch die Musik gehörte mit zu den Gegenständen des Unterrichts, in, sofern sie sich derselben künftig bei ihren Vorträgen bedienen sollten. Wie indeß der prophetische Geist nicht eigentlich gelernt werden konnte, so waren auch nicht alle Propheten aus den Prophetenschulen hervorgegangen, vielmehr konnte Jeder als solcher auftreten, der innern Beruf dazu fühlte. Die Wirksamkeit der Propheten war nicht blos die der Religionslehrer und Sittenprediger, sondern sie nahmen auch an den öffentlichen Angelegenheiten den größten Antheil und führten mit der treuen Anhänglichkeit an Jehova und sein Gesetz von Knechtschaft zur Freiheit und zur gesegneten Wohlfahrt im Innern des Landes. Ihr Wirken selbst war, namentlich in der Zeit des getrennten Reichs und des bevorstehenden Untergangs desselben, ein mächtiger Kampf mit drückender Königsgewalt, mit heuchlerischem Priesterthum und sittenverderbender Abgötterei, in welchem die Religionserkenntniß zwar neue Fortschritte machte, aber auch die Bande zwischen dem Volk und der Regierung gelöst wurden. Man würde die Propheten nicht unpassend Demagogen nennen können, wenn diesem Worte nicht jetzt eine schlimme Bedeutung aufgedrungen worden wäre. Wie deshalb die Propheten auf der einen Seite Gegenstand selbst abergläubischer Verehrung waren, so wurden sie auf der andern Seite wegen ihrer freimüthigen Rüge alles Schlechten von engherzigen Priestern, von abgöttischen und herrschsüchtigen Königen, auch vom verblendeten Volke verfolgt und mishandelt. Im Reiche Israel waren sie am frühesten verdrängt und fast ausgerottet worden; im Reiche Juda hatten sich Manasse (s.d.) und andere Könige an Propheten vergriffen; doch war später die Mishandlung der Propheten eine trübe Volkserinnerung. Die äußere Erscheinung der Propheten war, entsprechend ihrem ernsten Berufe, die Tracht der Trauernden, ein langer, faltiger Mantel aus grobem härenen Stoff, der durch einen ledernen Gürtel zusammengehalten wurde. Ihre Vorträge, die sie auf öffentlichen Plätzen, Märkten, Straßen, Tempelvorhöfen hielten, waren Erzeugnisse des Augenblicks im Drange religiöser Begeisterung und als solche gewiß einfach und kunstlos, zuweilen in die Form des Zwiegesprächs gefaßt, doch im eigenthümlich dichterischen Ausdrucke der bewegten Rede, zumal des Orientalen und nie ohne Schwung der Phantasie. Zum erhöhtern Eindruck der Rede dienten Gesticulation, zuweilen Musik, auch symbolische Handlungen, wie z.B. das Zerschlagen eines irdenen Gefäßes zum Zeichen des so zertrümmerbaren Reiches. Wandte der Prophet seinen Blick von der Gegenwart ab hinüber in die Zukunft, dann war seine Rede weissagend. Aber diese Weissagungen sind keineswegs als übernatürlich anzusehen, vielmehr sind sie als Ergebnisse der eignen umsichtsvollen und staatsklugen Betrachtung der jedesmaligen Gegenwart recht wohl erklärbar, da, wer die Vergangenheit und Gegenwart begreift, auch in die Zukunft sehen kann. Nur darin stimmen alle Propheten überein, daß, wenn ihnen die Gegenwart und nächste Zukunft keinen zureichenden Trost gewährt, sie ihren Blick auf eine fernliegende ideale Zukunft richten und von dem großen Nationalretter Messias (s.d.) und dessen hochbeglücktem Zeitalter reden, wodurch sie selbst [584] den höhern Geist des Christenthums vorbereitet haben. Auch Prophetinnen werden genannt, die, wie Debora und Hulda, im Geiste Jehova's redeten. Doch gab es auch falsche Propheten und Prophetinnen, die sich zwar göttlicher Offenbarungen rühmten, aber den Königen und Großen schmeichelten und in Allem dem verderbten Zeitgeiste huldigten. Nachdem schon lange die Propheten wirksam gewesen waren, entstanden erst ums 8. Jahrh. v. Chr. die Schriften der Propheten, von denen 16 im A. T. aufbewahrt worden sind, die Weissagungen enthalten, welche der Zeit vor, während und nach dem Exil, 588–536, angehören. Die Namen der Verfasser, welche sie führen, sind: Jesaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi, von denen die vier ersten, wegen des größern Umfangs ihrer Schriften, die großen, die übrigen zwölf aber die kleinen Propheten genannt werden. Kühner Ausdruck und kräftige Bilder charakterisiren ältere Producte der prophetischen Literatur, leichter Fluß der Rede, matte Phantasie die jüngern, in denen die Rede in Prosa übergeht. Mit den zuletzt genannten Propheten hörte der Prophetismus auf, weil die vorherrschende Verstandesbildung, welche die Juden (s.d.) aus dem Exil zurückbrachten, verbunden mit der dürftigen politischen Existenz der Nation, die fast jede Spur der frühern Größe Jehova's ausgetilgt sah, dem Geiste nicht mehr Schwingen geben konnte und Prophet und Betrüger, Volksverführer oder Gaukler wurden jetzt bald gleichbedeutend. Wenn im ersten Erscheinen des Christenthums die prophetische Begeisterung vorübergehend sich kund that, so hat es später in der Kirche fast zu allen Zeiten Schwärmer gegeben, die sich den Namen und das Ansehen der Propheten beilegten. Ihre Offenbarungen gaben zu neuen Religionen Aussicht, oder sie weissagten vom Antichrist, vom Weltende und Weltgericht; sie selbst werden von den Chimären und Täuschungen des Selbstbetrugs Prophetanten und Enthusiasten genannt. Als solche machten sich im Anfange des vorigen Jahrh. die kleinen Propheten oder die cerenischen Propheten bekannt; sie waren Abkömmlinge der Albigenser, die durch Mishandlungen schwärmerisch aufgeregt, in Frankreich und nach ihrer Vertreibung von da, in England und auch in Deutschland unter Verzuckungen die Umgestaltung der Welt und das Zeitalter des h. Geistes verkündigten, bis sie auf dem Gebiete des Papstes und des Sultans, deren Untergang sie anzukündigen kamen, um 1714 verschwanden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 584-585.
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