Socinianer

[212] Sociniāner, Antitrinitarier, d.i. Gegner der Dreieinigkeitslehre, Unitarier heißen die Glieder einer noch bestehenden religiösen Partei, welche im Zeitalter der Reformation entstand und von ihren Begründern, Lälius und Faustus Socinus, den Namen hat. Wie nämlich die Dreieinigkeitslehre seit ihrem Ursprunge in der Kirche nie ganz unangefochten blieb, so wurden auch in Folge der Reformation [212] aufs Neue Zweifel gegen dieselbe erhoben. Einzelne Gegner derselben in Deutschland, wie der Wiedertäufer Ludwig Hetzer, 1529 zu Kostnitz enthauptet, Johann Campanus, aus Jülich, zu Kleve ergriffen und lebenslänglich eingekerkert, und der span. Arzt Michael Servet, zu Genf 1553 verbrannt, hatten diese Zweifel hart gebüßt. Vorzüglich aber war es eine von Italien ausgehende und durch das Studium der griech. Philosophie vorbereitete Richtung, welche die blos verständige Auffassung des Christenthums einschlug. Lälius Socinus war ein gelehrter, redlicher und verständiger, aber kein tiefsinniger, genialer und begeisterter Mann. Er wurde im J. 1525 aus dem edeln Geschlechte der Sozzini zu Siena geboren. Anfangs die Rechte studirend, vertauschte er dieses Studium mit der Theologie und fand hier die erste Veranlassung zur Bildung seiner eigenthümlichen religiösen Meinungen. Theils vom Streben nach Erweiterung seiner Kenntnisse angetrieben, theils die Verfolgungen der Inquisition fürchtend, verließ er 1544 Italien und bereiste Frankreich, England, Holland und Deutschland. Im J. 1550 kam er nach Wittenberg, wo er, schweigsam über seine abweichenden Meinungen, drei Jahre lang vorzüglich die orientalischen Sprachen studirte und sich die Freundschaft Melanchthons erwarb. Ungefähr um das Jahr 1558 begab er sich nach Polen, wo er im Stillen seine Lehre verbreitete und derselben aus Reformirten und Lutheranern Anhänger verschaffte, mit denen er ein besonderes Kirchenwesen bildete. Später kehrte er Familienangelegenheiten halber wieder in sein Vaterland zurück, wurde von der Inquisition aufs Neue verfolgt, nahm seinen Aufenthalt in Zürich, stand fortwährend mit den berühmtesten protestantischen Theologen seiner Zeit im Briefwechsel, und starb im J. 1561. Sein Neffe und Erbe Faustus Socinus, geb. 1539 zu Siena, entwickelte, im Besitze aller seiner Handschriften, seine Lehren weiter und gab den Unitariern in Polen, an die er sich, nach einem unsteten Aufenthalte in Frankreich, der Schweiz und Deutschland, seit 1579 anschloß, ein geordnetes Kirchenwesen. Zuletzt, nach mancherlei Gefahren und Verfolgungen, gewann er bei einem neun Meilen von Krakau wohnenden poln. Adeligen, Namens Abraham Blonsky, eine Freistätte, wo er 1604 starb.

Der Mittelpunkt der socinianischen Lehre, deren vornehmste Bekenntnißschrift der rakauer Katechismus ist, ist die Annahme, daß Jesus, obwol als bloßer Mensch geboren, doch vaterlos, wunderbar von Gott begnadigt, in den Himmel entrückt und zum Lohne seines Lebens vergöttlicht worden sei, um als Mittler der durch ihre Sünde von Gott entfernten Menschheit Erkenntniß, wie Gnade Gottes zu bringen, und als König die Seinen allezeit zu regieren. Denn der Mensch ist ohne alle natürliche Gotteserkenntniß und die Offenbarung den Gesetzen seines Geistes angemessen. Der h. Geist ist ihnen nur eine göttliche Kraft, die in der Natur wirkt und dahin strebt, daß die Gläubigen heilig werden. Weil sie nach dem Hauptinhalt dieser Lehren das Bekenntniß von der Einheit Gottes aufstellen, werden sie Unitarier genannt. Die Sacramente, Taufe und Abendmahl erklären sie für nützliche Ceremonien, leugnen aber jede übernatürliche Kraft derselben und ihre Nothwendigkeit zur Seligkeit.

Der Hauptsitz der Socinianer war anfangs Rakau in Polen, und von hier aus verbreiteten sie sich über das ganze Land, waren aber fortwährend den heftigsten Verfolgungen von den Jesuiten und Dominikanern ausgesetzt. Ausgeschlossen vom Religionsfrieden wurden sie auf dem Reichstage von Warschau, 1658, aus dem Lande gestoßen. Ein geringer Hause der Verbannten ist in Preußen geduldet worden. Viele wurden von ihren Glaubensbrüdern in Siebenbürgen aufgenommen. Hier bilden noch jetzt die Socinianer ein wohlgeordnetes Kirchenwesen unter einem Superintendenten zu Klausenburg. In England wurde der Socinianismus durch Flüchtige verbreitet, oder auch selbständig erzeugt, aber die Gesetze verhängten die Todesstrafe über seine Anhänger. Im 18. Jahrh. kam zwar dieselbe nicht mehr in Anwendung, und den Socinianern war, wenn auch nicht die Ausübung ihres Gottesdienstes, doch der Aufenthalt im Lande gestattet; doch verweigerte 1792 das Parlament die Abschaffung dieser Strafgesetze, und erst 1813 wurde sie zugestanden. Die socinianischen Gemeinden in England sollen reich, aber nicht eifrig sein. Zur Zeit ihrer Verfolgung in England sind die Socinianer auch nach Amerika ausgewandert, wo sie gegenwärtig im Staate Massachusetts einige hundert Gemeinden bilden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 212-213.
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