Nieswurz

Nieswurz

[292] Nieswurz, Nieswurzel und Nieskraut sind Namen verschiedener Pflanzen, welche des scharfen Saftes wegen, den sie vorzüglich in ihren Wurzeln enthalten, zu den Giftgewächsen gezählt werden.

Der Arzt verwendet sie zwar in angemessenen Gaben als Heilmittel, allein ihr unvorsichtiger Gebrauch und Genuß hat sehr schmerzliche und leicht lebensgefährliche Folgen. Ihren Namen haben sie von der Eigenschaft der getrockneten und gepulverten Wurzeln, schon durch den beim Pulvern selbst entstehenden Staub heftiges Niesen zu erregen, daher man sich davor verwahren muß. In Deutschland wachsen von diesen Pflanzen (1) die schwarze Nieswurz (Helleborus niger), die man in Östreich, Steiermark, außerdem auf den Gebirgen des südl. Europa findet. Diese Pflanze bleibt den Winter über grün und bei gelinder Witterung kommen ihre milchweißen oder röthlichen Blumen, welche einzeln oder zu zweien an eine Spanne hohen Stengeln sitzen, oft um Weihnachten zum Vorschein, daher man sie auch Christwurz und Weihnachtsrose genannt hat. Die Blätter der Pflanze sind lederartig; die Wurzel treibt aus einem rundlichen Knopfe nach allen Seiten kurze gegliederte Äste mit vielen fußlangen Fasern, welche wie ein Strohhalm stark sind und sich ineinander verschlingen. Diese vorzüglich werden benutzt, sowie die von der ebenfalls im südl. Deutschland vorkommenden grünen Nieswurz, welche grüne Blumen hat; häufig wird aber auch die Wurzel (2) der stinkenden Nieswurz (Helleborus foetidus) mit eingesammelt, welche einen vielblumigen, blätterigen Stengel und ihren Beinamen von dem widrigen Geruche hat, den selbst die Blätter bei der Berührung von sich geben. Die sogenannte weiße Nieswurz der Apotheken rührt von einer ganz andern, zwei bis vier Fuß hoch werdenden, im ganzen südl. Deutschland, in Ungarn, Rußland und südl. Europa überhaupt auf Bergen wachsenden Pflanze, nämlich vom (3) weißen Nieskraute oder weißen [292] Germer (Veratrum album) her, für die auch die Namen Wendewurz und unechte Nieswurz üblich sind. Die grünlich- oder gelblichweißen Blüten stehen an dem oben in Äste getheilten Stengel in traubiger Gestalt beisammen und die Pflanzenblätter sind länglich, zugespitzt und der Länge nach faltig. Die verkäufliche Wurzel, welche die gefährlichen Kräfte der Nieswurzel theilt, ist daumendick, knotig und gegen drei Zoll lang, holzig und schwer und äußerlich schwarzbraun und runzlich, innen weiß. In denselben Gegenden, wo der weiße Germer vorkommt, wächst auch der schwarze Germer, welcher sich durch bräunlichschwarze oder dunkelrothe Blüten und seine eirunden Blätter unterscheidet. Beide Pflanzen werden in Gärten auch zur Zierde gezogen und sind in allen ihren Theilen giftig. Im Alterthume wurde Nieswurz als Mittel gegen Wahnsinn angewendet, und weil der Ort Anticyra in Thessalien durch den Handel mit der auf den dortigen Gebirgen von besonderer Güte gesammelten Nieswurz vorzüglich bekannt war, so gab man Leuten, welche ungereimte Dinge vorbrachten, den spöttischen Rath, nach Anticyra zu reisen, nämlich um dort mit Hülfe der Nieswurz ihren Verstand zu schärfen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 292-293.
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