Schlosser

[93] Schlosser (Friedr. Christoph), der noch jetzt lebende berühmte Geschichtsforscher, geheimer Hofrath und Professor der Geschichte zu Heidelberg, wurde 1776 geboren und verlor im sechsten Jahre seinen Vater. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, studirte seit 1793 zu Göttingen Theologie, und übernahm 1796 eine Informatorstelle im Hause des Grafen Bentinck in Varel. Später lebte er in Altona und Frankfurt a. M., bis er 1808 als Conrector nach Jever berufen wurde. Dem geistlichen Berufe, wofür er sich gebildet und in welchem er bereits 1798 in seinem Vaterlande auf dem Lande eine Zeit lang wirkte, hatte er [93] 1806 wegen seiner Vorliebe für gelehrte Beschäftigungen gänzlich entsagt. Aber auch seine Wirksamkeit als Schulmann war aus demselben Grunde von keiner Dauer. Schon 1809 legte er sein Amt nieder, ging nach Frankfurt und lebte hier, außer wenigen Unterrichtsstunden, die er am Gymnasium übernahm, meist den gelehrten historischen Forschungen. Er wurde 1812 Professor der Geschichte und der Philosophie am neuerrichteten Lyceum daselbst und, als zwei Jahr später dasselbe wieder einging, Stadtbibliothekar. Im J. 1817 folgte er dem Rufe nach Heidelberg als Professor der Geschichte und Director der Universitätsbibliothek, und 1824 erhielt er den Titel eines geheimen Hofraths. Wenn S. als Geschichtsforscher ganz die Eigenschaften besitzt, durch die eine reiche Vergangenheit der Gegenwart als ein treues Gemälde mit ernsten, kräftigen und starken Zügen vorgehalten wird, so gibt er dem Streben, die Begebenheiten in ihrem ursachlichen Zusammenhange zu erkennen und darzustellen (Pragmatismus) fast zu viel nach, was bei der geschichtlichen Entwickelung den Blick nicht selten zu dem Einzelnen abzieht und den Eindruck des Ganzen schwächt. Von seinen Geschichtswerken, die sämmtlich von tiefer Menschenkenntniß und gründlicher Forschung zeigen, nennen wir: »Geschichte der bilderstürmenden Kaiser des oström. Reichs«; »Weltgeschichte in zusammenhängender Erzählung« (3 Bde., Frankf. 1817–24); »Geschichte des 18. Jahrh.« (2 Bde., Heidelb. 1836–37), die auch in das Französische übersetzt worden ist. – Von dem berühmten Geschichtsforscher S. ist zu unterscheiden Johann Georg S., der als gewandter geistvoller Schriftsteller am Ende des vorigen Jahrh. sich rühmlich bekannt gemacht hat und besonders als Jugendfreund Göthe's merkwürdig ist. Er wurde 1739 zu Frankfurt a. M. geboren, studirte zu Gießen und Altorf die Rechte, ging hierauf in die Dienste des Prinzen Friedrich von Würtemberg zu Mömpelgard und später zu Karlsruhe, bekleidete dann eine Zeit lang die Stelle eines Amtmanns zu Emmendingen und kehrte 1787 als geheimer Hofrath nach Karlsruhe zurück. Im J. 1790 wurde er daselbst wirklicher geheimer Rath und Director des Hofgerichts, nahm aber 1794 seinen Abschied, worauf er abwechselnd zu Ansbach und Eutin lebte. Von seiner Vaterstadt Frankfurt 1798 zum Syndikus ernannt, starb er im Wiederbeginnen seines nützlichen und verdienstvollen Wirkens am 17. Oct. 1799. Die Wirksamkeit S.'s als Schriftsteller, der ebenso vom höhern Geiste der Wissenschaft entzündet, als für Religion und Tugend, Wahrheit und Recht begeistert war, hatte mehr die Richtung zu dem wirklichen Leben, weshalb er auch der Kant'schen Philosophie wegen ihrer tief verständlichen, trockenen Untersuchungen bitter Feind war. Am einflußreichsten für die Bildung seiner Zeit wurde er durch seinen »Katechismus der Sittenlehre fürs Landvolk«; ebenso hat er als Übersetzer einiger Werke des Äschylos, Platon und Thucydides nicht Unerhebliches geleistet.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 93-94.
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