Escurial

[498] Escurial. Sechs und eine halbe Stunde von Madrid, in der Provinz Segovia, liegt ein unbedeutendes Städtchen dieses Namens. Unwirthbar rings umher ist die Gegend nur ein kahler, von scharfen Winden gepeitschter Gebirgsrücken. Kolossale Steine liegen allenthalben verstreut, und poetische Reisende, welche diese öde Straße zogen, verglichen sie dem Schlachtfelde der Titanen Philipp II., Spaniens finsterer Herrscher, soll am 1.: August 1557, dem Vorabende der Schlacht von St. Quentin, das Gelübde gethan haben, dem heiligen Laurentius ein Kloster zu weihen, wenn ihm der Sieg zu Theil werde. Sein Wunsch wurde erfüllt[498] und so entstand das berühmte Kloster San Lorenzo el Real, welches 5 Mill. Ducaten gekostet haben soll, und in der Regel Escurial genannt wird. Tausend Fuß im Umkreis haltend, großartig in allen seinen Verhältnissen, erscheint es dem Spanier als das achte Weltwunder und erfüllt durch seine düstere Majestät Jeden mit ehrfurchtsvollem Staunen. Der innere Raum des Klosters umfängt 17 Abtheilungen, 22 Höfe, mehrere Kirchen und die Wohnungen von 200 Mönchen, die zur Regel des heiligen Hieronymus gehören. Man zahlt im Ganzen 8000 Thüren, 40,000 Fenster; aber das Merkwürdigste bleibt außer der unschätzbaren Bibliothek, die jedoch leider bei dem Brande 1671 viel verlor, die Cathedrale mit 40 Kapellen und 8 Orgeln, deren eine aus massivem Silber besteht. Vor 24 Altären knien dort die Frommen, unter dem Hauptaltare aber steigt man hinab in jenes schauerliche Pantheon, die weite, reich geschmückte Gruft der spanischen Königsfamilie. Ewige Lampen erhellen die schweigende Todtenhalle, manchen unvergessenen Namen liest man auf den Särgen, viel liebliche, früh gewelkte Schönheiten verschließen sie. Philipp's II. Gemahlin, die jugendlich geopferte Elisabeth von Valois, Don Karlos, Elisabeth von Orleans, der schönen unglücklichen Henriette von England eben so bedauernswerthe, als schöne Tochter, schlummern dort nach kurzem, leidensvollem Dasein den langen Schlaf. Zu ihnen bettete man seitdem manche lebensfreudige italienische Fürstin, die auf Spaniens Throne ein jäher Tod ereilte und die goldenen Cherubs an den Grabesnischen breiten auch schon seit Jahren die nie bewegten Flügel über die fromme Josepha von Sachsen, die letztverstorbene Königin.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 3. [o.O.] 1835, S. 498-499.
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