Glocke

[447] Glocke. Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango, d. h. die Lebenden ruf' ich, die Todten beklag' ich, die Gewitter verscheuch' ich; so lautet eine alte charakteristische Glockenumschrift. Zum Verständniß des letzteren Satzes muß bemerkt werden, daß in früherer Zeit bei Gewittern mit allen Glocken gelautet wurde. weil man den Glauben hegte, durch die Glocken, als geweihte Werkzeuge, und durch die Luftbewegung des Schalles die Gewitterwolken[447] vertreiben zu können. In einigen Orten Frankreichs ist noch jetzt das Glockenläuten bei Gewittern üblich. Es hat sich aber dieses Verfahren als unzweckmäßig und selbst gefährlich erwiesen; denn statt die Gewitter zu vertreiben, ziehen die Glocken, wenn sie geläutet werden, dasselbe an. – Die Construction der Glocken ist bekannt, eben so ihre Anwendung als Kirchenglocken, Hausglocken, Stubenglöckchen, Herdenglocken etc. Ein anderes Werkzeug ist die Taucherglocke; sie führt den Namen Glocke nur wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem den bekannten metallenen Schall hervorbringenden Instrumente. Schon die Römer kannten Glocken und hatten deren kleine in ihren Bädern. Die größern, aus Erz gegossenen wurden in Campanien erfunden, daher der lateinische Name Campana für Glocke. Der Bischof Paulinus zu Nola in Campanien soll die ersten haben gießen lassen. Um das Jahr 600 wurden sie bereits dazu verwendet, die Gemeinde zum Gottesdienst zu rufen. Nach Deutschland kamen die Glocken erst im 11. Jahrhundert, bis dahin gab man das Zeichen zur Messe oder Vesper von den Thürmen durch Schläge auf ein hölzernes Brett. Bald wurde ihr Gebrauch allgemein und man läutet sie nicht nur bei kirchlichen Veranlassungen, sondern auch in Kriegs- und Feuersgefahr, beim Einzuge fürstlicher Personen etc. In Ländern, wo Religionssekten nur geduldet sind, ist der Gebrauch der Glocken nur der herrschenden Religion gestattet. – Die größten und berühmtesten Glocken sind: zu Moskau 4400 Ctnr. schwer, 64 Fuß im Umfang, 2 Fuß dick, 20 Fuß hoch; sie stürzte bei dem Brande des Kreml vom Thurme und liegt halb vergraben in der Erde. Die zu Paris von 310 Ctnr., zu Wien in der Stephanskirche 354 Ctnr. schwer, zu Erfurt 275, Toulouse 550, Mailand 300 Ctnr. – Den mannichfachen Gebrauch der Glocke und ihre verschiedenen Beziehungen hat Schiller trefflich in seinem Lied von der Glocke geschildert, und herrliche, das ganze Menschenleben umfassende Reflexionen daran geknüpft. Wir führen die Schlußstelle seines Gedichtes an:

[448] "Hoch über'n niedern Erdenleben,

Soll sie im blauen Himmelszelt,

Die Nachbarin des Donners schweben,

Und grenzen an die Sternenwelt;

Soll eine Stimme sein von oben,

Wie der Gestirne helle Schar,

Die ihren Schöpfer wandelnd loben

Und führend das bekränzte Jahr.

Nur ewigen und ernsten Dingen

Sie ihr metallner Mund geweiht,

Und stündlich mit den schnellen Schwingen

Berühr' im Fluge sie die Zeit.

Dem Schicksal leihe sie die Zunge,

Selbst herzlos, ohne Mitgefühl

Begleite sie mit ihrem Schwunge

Des Lebens wechselvolles Spiel.

Und wie der Klang im Ohr vergehet,

Der mächtig tönend ihr erschallt,

So lehre sie, dass Nichts bestehet,

Daß alles Irdische verhallt."-

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 4. [o.O.] 1835, S. 447-449.
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