Tieck [1]

[477] Tieck, Ludwig, der lebendigste und fruchtbarste unter den romantischen Dichtern (s. Romantisch), geb. 1773 zu Berlin, trieb geschichtliche und philologische Studien zu Halle, Erlangen, Göttingen, befreundete sich früh mit Wackenroder, 1799 zu Jena mit den Gebrüdern Schlegel, Novalis, Schelling u.a., besuchte 1805 Rom, 1817 London, wo er Studien über Shakesspeare machte, u. ließ sich 1819 wiederholt und für die Dauer zu Dresden nieder. Hier bekam er 1825 Antheil an der Theaterdirection, vermochte den gehegten Erwartungen nicht zu entsprechen, leistete aber doch Tüchtiges als Theaterkritiker (Dramaturgische Blätter 1826), und noch mehr als dramatischer Vorleser. 1842 zog ihn der König von Preußen nach Berlin, indem er ihn mit dem Titel eines Geh. Hofrathes und mit einem bedeutenden Jahresgehalte bedachte; T. hatte sich bereits selber überlebt, war alt und kränklich, veranlaßte vielbesprochene theatralische Versuche und st. 1853 zu Berlin. Ein wirkliches Dichtergenie war T. nicht, am allerwenigsten ein lyrisches, wohl aber ein mit reicher Bildung, scharfem Verstande, Witz u. Phantasie ausgerüstetes Talent, welches fremde Stoffe auszubilden und umzumodeln verstand. Unter Klingers Einfluß schrieb er den »gespenstigen [477] und wilden« Roman Abdallah (1795), Schillers »Räuber« regten ihn zum »William Lovell« (1793–1796) an, geläuterter trat er schon im »Peter Lebrecht« (1795) auf, in den Volksmährchen geißelte er die poetische Anmaßung und Flachheit eines Nicolai, Merkel, Böttiger u.a., der Kunstroman »Sternbalds Wanderungen« machte ihn bereits zu einem Orakel der Romantiker. In Jena begann die Periode seiner romantischen Dichtungen (Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack), mit der »Genoveva« (1799) die Nachdichtung deutscher Sagenstoffe; das Lustspiel »Kaiser Oktavianus« (1804) und »Fortunat« gelten hierin als seine Meisterwerke, obwohl es keine bühnengerechten Stücke sind. Magelone (1796), der gestiefelte Kater (1797), Rothkäppchen (1800), der Phantasus (1812; eine Nachbildung des Decamerone) u.a.m. gehören dieser Periode an, die sich 1821 mit »Gedichten« abschloß, an denen nur einzelne Schönheiten gerühmt werden. Von jetzt an entzückte er die gelehrten Norddeutschen durch Novellen, worin er mit einer als classisch gepriesenen Sprache alle Fragen des Lebens, der Kunst, Literatur u. Religion behandelte (die Reisenden, Dichters Leben, Dichters Tod, der Aufruhr in den Cevennen), und unter denen »Vittoria Accorombona« (18401 das letzte einigermaßen bedeutende Werk war. T. erwarb sich auch Verdienste durch Herausgabe der Schriften von Wackenroder, Hardenberg, H. v. Kleist (1826), Lenz (1828), ferner durch Bearbeitung von Minneliedern (1803), Ulrich v. Lichtensteins Frauendienst (1812) u.a., ebenso durch eine Uebersetzung des Don Quixote; um Shakesspeare bei uns recht heimisch zu machen, waren T.s Bemühungen weit größer als seine Erfolge (Fortsetzung der Schlegelschen Uebersetzung, Vorschule zum Shakesspeare u.s.w.). Sämmtliche Schriften, Berl. 1828 ff., 20 Bde., dazu nachgelassene Schriften Leipz. 1855, 2 Bde. – T., Sophie, die Schwester des Vorigen, geb. 1778, 1799 mit seinem Freunde, Professor Bernhardi, verheirathet, 1806 von diesem geschieden und mit einem Baron Knorring verehelicht, bearbeitete mit ihrem Bruder u. ersten Manne »Bambocciaden«, eine Sammlung vielbelobter Erzählungen, hinterließ »Tristan u. Isolde« sowie einen Roman »Evremont«.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 477-478.
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