Tieck

Tieck

[429] Tieck (Ludwig), königl. sächs. Hofrath, einer der berühmtesten unter den noch lebenden deutschen Dichtern, wurde am 31. Mai 1773 zu Berlin geboren, studirte seit 1791 auf den Universitäten Halle, Göttingen und Erlangen, indem er sich vorzüglich mit Geschichte und Literatur beschäftigte.

Schon auf der Schule hatte sich T. mit poetischen Productionen abgegeben und schon während seiner Studienjahre entwickelte sich in ihm die eigenthümliche Richtung, welche er nachmals in der Literatur geltend machte und zu der sich bald mehre ausgezeichnete Geister hinneigten. Man hat diese Richtung vorzugsweise als die romantische (s.d.) bezeichnet und sie ist dieselbe, welche die beiden Schlegel (s.d.) ausbreiteten. Auf die ganze Gestaltung der deutschen Poesie hat sie den wesentlichsten Einfluß gehabt. T. kehrte von Erlangen nach Göttingen und von da nach Berlin zurück, wo er mit Nicolai bekannt wurde. Eine Reise nach Jena brachte ihn mit den ihm geistig [429] verwandten Brüdern Schlegel und mit Novalis, zusammen, auch lernte er in Weimar Herdern kennen. Er hatte sich durch seinen »Abdallah« (Berl. 1795) und seinen »Richard Lowell« (Berl. 1795), durch »Peter Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten« (Berl. 1796) und durch »Peter Lebrecht's Volksmärchen« (3 Bde., Berl. 1797) vortheilhaft bekannt gemacht. Während in »Lowell« noch ein trüber Geist herrscht und man es demselben ansieht, daß der Dichter noch in sich selbst ringt, so tritt in den spätern unter den genannten Werken uns schon ein freier, mit Laune und Witz ungebunden in seinem Gebiete schaltender Dichtergeist entgegen, welcher nothwendig allgemeine Theilnahme erregen mußte. In Hamburg, wo sich T. eine Zeit lang aufhielt, lernte er die Tochter des Pastors Alberti kennen und vermählte sich mit ihr. Aufsehen machten sein »Blaubart« (Berl. 1798) und sein »Gestiefelter Kater« (1797), in welchen er mit graziöser Keckheit und jugendlichem Übermuthe gegen die seichte Aufklärerei und gegen die gemeinprosaische Ansicht in Leben und Kunst zu Felde zog. Seine Liebe zur Kunst, seine tiefen künstlerischen Anschauungen und seine gründliche Bildung in Beurtheilung von Werken der bildenden Kunst, wobei ihm besonders sein Aufenthalt in Dresden, München und Rom förderlich war, sprechen sich in den Schriften aus, welche er mit seinem Freunde Wackenroder gemeinschaftlich schrieb und zum Theil erst nach des Letztern Tode herausgab. Sie sind die: »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (Berl. 1797), die »Phantasien über bildende Kunst« (Hamb. 1799) und »Franz Sternbald's Wanderungen« (2 Bde., Berl. 1798). An den erstern Werken hat Wackenroder, an dem zuletzt genannten T. größern Antheil. In Jena, wo sich T. längere Zeit aufhielt, schloß er sich noch enger an die Schlegel an und wurde auch mit Schelling bekannt. Eine Fortsetzung des »Gestiefelten Katers« ist sein »Zerbino, oder die Reise zum guten Geschmack«, welche er in den »Romantischen Dichtungen« (2 Bde., Jena 1799–1800) veröffentlichte. Auch durch treffliche Übersetzung ausländischer, ihm mehr oder weniger verwandter Dichter erwarb sich T. Verdienste. Er übersetzte den »Don Quixote« von Cervantes (4 Bde., Berl. 1799–1801; 3. Aufl. 1831) und begannschon damals sein gründliches Studium des Shakspeare, welches nachmals (in der Herausgabe der ergänzten und vervollkommneten Übersetzung der Werke Shakspeare's von A. W. v. Schlegel) herrliche Früchte trug. Im J. 1801 ging T. nach Dresden und gab hier den »Musenalmanach für 1802« heraus. Nachdem er Dresden wieder verlassen, hielt er sich abwechselnd in Berlin und zu Ziebingen ohnweit Frankfurt an der Oder auf. Besonderes Verdienst hat sich T. durch seine Wiedereinführung alter Dichtungen in neuem Gewande erworben. »Genoveva«, »Octavianus«, »Die Haimonskinder«, »Magelone«, »Die Schildbürger« (in den oben erwähnten »Volksmärchen«), die »Minnelieder aus dem schwäb. Zeitalter« (Berl. 1803) u.a. gehören hierher. Der Leser wird durch den kecksten Humor, durch sprudelnden Witz zu einem neuen Interesse an jenen alten Volksbüchern hingezogen. Es ist auffallend, wie der Dichter die leisesten Züge in jenen schlichten Erzählungen zu benutzen verstanden hat, sodaß er aus ihnen ein an Charakteren überreiches dramatisches Leben sich gestalten läßt. Nachdem T. noch 1805 die Werke seines früh verstorbenen Freundes Novalis herausgegeben hatte, begab er sich nach Italien, von wo er im Winter 1806 zurückkehrte. Hierauf lebte er einige Zeit in München und dann wieder in der Nähe von Frankfurt an der Oder. Theils die Zeitverhältnisse, theils die schmerzhaften Gichtanfälle, von denen T. seit seiner ital. Reise befallen wurde, waren Ursache, daß in seiner schriftstellerischen Thätigkeit eine ziemlich lange Pause eintrat. Frühere und neue kleinere poetische Werke, namentlich aus den »Volksmärchen«, verband T. in dem »Phantasus« (3 Bde., Berl. 1812–17) und setzte sie untereinander durch geistreiche Gespräche über Gegenstände des Lebens und der Kunst in Verbindung. Von seinen fortgesetzten Studien über Shakspeare und seine Zeit legte sein Werk: »Altenglisches Theater« (2 Bde., 1814–16) Zeugniß ab, in welchem unter Anderm einige dem Shakspeare gewöhnlich nicht zuerkannte Stücke enthalten sind. Auf einer Reise nach London, die er 1818 unternahm, sammelte er zu einem noch zu hoffenden größern Werke über Shakspeare und 1823–29 erschien in Leipzig seine Schrift »Shakspeare's Vorschule« (2 Bde.). Im J. 1819 ging er nach Dresden, wo er sich seitdem bleibend niedergelassen hat und nicht nur fortwährend als Dichter thätig geblieben ist, sondern auch durch seine fast öffentlichen Vorlesungen poetischer Kunstwerke zur Bildung des Geschmacks auf das schönste wirkt. T. besitzt nämlich ein wahrhaft künstlerisch ausgebildetes und in dieser Macht vielleicht noch nicht dagewesenes Talent im Vorlesen, und versammelt daher häufig in den Abendstunden einen Kreis von Freunden und gebildeten Fremden um sich, welchen er durch seinen Vortrag den reinsten und vollkommensten Genuß poetischer Kunstwerke bereitet. Diese Abendversammlungen erhalten den Dichter zugleich im lebendigsten Zusammenhange mit der Welt, welcher er sich übrigens wenig widmet, woran zum Theil sein durch die Gicht angegriffener Körper Schuld ist. T. hat sich seit seiner Jugend lebhaft für dramatische Poesie und Theater interessirt, in allen seinen Schriften herrscht ein dramatisches Element vor und seine »Dramaturgischen Blätter« (2 Bdchn., Bresl. 1825) sind Zeugniß seiner Einsicht in das Wesen des Theaters. Je tiefer aber T.'s Einsicht in dieser Beziehung ist, desto schmerzliche. empfindet er auch den Verfall der Bühne, bei welcher die Directoren nur nach dem Gelde des Publikums geizen, die Schauspieler nur um den Beifall der rohen Masse buhlen und die Zuschauer nur Unterhaltung suchen, [430] aber Niemand ein höheres, der Kunst würdiges Interesse hegt. T. hat sich daher vom Theater zurückgezogen und ersetzt sich selbst und den Gebildeten, die ihm nahen, dasselbe durch sein vollendetes Vorlesen. Nur seine Anstellung in Dresden hält ihn noch in Verbindung mit der Bühne der Hauptstadt und er wirkt für diese dadurch vortheilhaft, daß er talentvollen Schauspielern zu seinen dramatischen Vorlesungen Zutritt gestattet und ihnen auch privatim in Auffassung und Darstellung wichtiger Rollen Anweisung gibt. Seit seinem Aufenthalte in Dresden hat sich T. ausschließlich mit Hervorbringung einer Reihe ausgezeichneter Novellen beschäftigt, welche zum Theil einzeln, zum Theil in Sammelwerken, zum Theil endlich in Almanachen, namentlich in der »Urania«, erschienen sind. Diese Novellen tragen sämmtlich ein eigenthümliches Gepräge. Man kann nicht leugnen, daß in vielen eine gewisse Willkürlichkeit herrscht, aber die eigenthümlichen Situationen, welche dadurch herbeigeführt werden, sind mit so hoher poetischer Wahrheit, mit einer solchen Kenntniß des menschlichen Gemüths und mit so wahrer Kunst dargestellt, daß T. in dieser Beziehung als unübertroffen dasteht. Viele dieser Novellen gehen mit jugendlicher Laune und zugleich mit dem Ernste eines gereiften Bewußtseins auf die Behandlung der interessantesten Zeitfragen ein. Unter den größern Productionen dieser Gattung zeichnen sich »Der Aufruhr in den Cenennen« (Berl. 1826), »Der junge Tischlermeister« (2 Bde., Berl. 1836) und »Vittoria Accorombona« (Bresl. 1840) auf das vortheilhafteste aus. Die selbständige Stellung, welche sich T. gegeben und die er mit der Hartnäckigkeit der Überzeugung in allen seinen Werken festgehalten, hat zu allen Zeiten seiner künstlerischen Thätigkeit Gegner erweckt. Während er in der ersten Zeit seines Auftretens von Denen angefeindet wurde, welche an einer veralteten Anschauung der Kunst und des Lebens festhielten, so ist er in neuerer Zeit oft auf die schmählichste Weise von unbesonnenen Neuerern angegriffen worden, welche nicht einsehen mochten oder konnten, daß, was in ihren Bestrebungen wahrhaft der Idee angehörte, eben von Niemand anders als von T. auf das würdigste vertreten werde, und auch die gemein-prosaische Richtung hat bis auf die neueste Zeit nicht nachgelassen, den Dichter zu verunglimpfen. Die billige und für das Schöne empfängliche Kritik wird stets anerkennen, daß im ganzen Verlaufe der Thätigkeit T.'s sich die eigenthümliche Richtung desselben, welche allerdings anfänglich einseitig schroff ausgebildet war, immer mehr zur reinsten, vorurtheilsfreien Poesie herausgebildet hat, und in jener Schroffheit früherer Productionen nur die nothwendige Opposition gegen die Afterpoesie erkennen, während der Dichter in seinen spätern Werken, getragen durch das Gefühl, für ein durch ihn gebildetes Publicum zu wirken, zu der Ruhe und Klarheit gelangt ist, welche seinen Werken den Stempel classischer Vollendung aufdrücken. Die bedeutendsten Sammelwerke Tieck'scher Schriften sind: die »Schriften« (15 Bde., Berl. 1828–26); die »Novellen« (7 Bde., Berl. und Bresl. 1823–28), und die »Gesammelten Novellen« (Bresl. 1835 fg.). Eine kolossale Marmorbüste T 's hat der berühmte franz. Bildhauer David 1834 gearbeitet und dieselbe dem Dichter verehrt. Auch der Bildhauer Tieck hat eine Büste seines Bruders dargestellt. Eine erfreuliche Anerkennung seiner Verdienste erfuhr T. bald nach der Thronbesteigung des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, indem dieser ihm einen ansehnlichen Jahrgehalt aussetzte und T. einlud, ihn jährlich einmal in seiner Residenz zu besuchen und durch sein Talent als Vorleser zu erfreuen. – Der Bruder des Dichters, der als Bildhauer ausgezeichnete Christian Friedrich Tieck, Professor der Bildhauerkunst und Mitglied des Senats der Akademie der Künste in Berlin, wurde zu Berlin 1776 geboren und zeichnete sich zuerst als Schadow's, dann als David's Schüler aus. Im J. 1801 kehrte er nach Berlin zurück, begab sich bald darauf nach Weimar, wo er eine Reihe von Kunstwerken herstellte und auch die Büsten F. A Wolf's, I. H. Voß's und Goethe's arbeitete. Er begleitete 1805 seinen Bruder nach Italien, vervollkommnete sich noch weiter in seiner Kunst und folgte 1809 einem Rufe des Kronprinzen Ludwig von Baiern nach München. Auch hier schuf er wieder mehre Büsten ausgezeichneter Männer. In Italien, wohin er 1812 zurückkehrte, wurde er der innige Freund des Bildhauers Rauch. Eine Reihe von Büsten berühmter Männer der Vorzeit wurden von ihm im Auftrage des Kronprinzen von Baiern in Carrara geschaffen. Für Frau von Staël schuf er eine lebensgroße Statue Necker's. Im J. 1819 kehrte er nach Berlin zurück, arbeitete hier für das neue Schauspielhaus, machte die Modelle der Engel, welche, in Kupfer getrieben, das Portal der Domkirche in Berlin schmücken, den Genius auf dem Denkmal des Prinzen Louis Ferdinand zu Saalfeld, die Genien für das Denkmal auf dem Kreuzberge zum Andenken der Siege bei Großbeeren und Laon und mehre Büsten, namentlich die des Königs Friedrich Wilhelm III., welche im Saale der Stadtverordneten zu Berlin aufgestellt ist. Seit 1819 ist er Mitglied der berliner Akademie.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 429-431.
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