Geologie

[387] Geologie. Im Laufe ihrer Entwicklung hat sich die Geologie diejenigen Forschungen zu eigen gemacht, die sich auf den Bau und die Ausgestaltung des festen Teiles der Erde und der in ihm vorgehenden Veränderungen erstrecken. Sie bedient sich der Mineralogie, der Zoologie und Botanik als Hilfswissenschaften.

Ursprünglich unterschied man zwischen Geologie und Geognosie in der Weise, daß man den ersten Begriff auf die theoretische Seite der Entwicklung und Entstehung der Erde (Geogenie, Erdgeschichte) zu beschränken suchte und mit dem Worte Geognosie (Erdkunde) die Kenntnis von dem festen Teile der Erde in seiner heutigen Erscheinungsweise belegte. In neuerer Zeit aber sind die beiden Bezeichnungen Geologie und Geognosie immer mehr als gleichbedeutend angesehen worden und man hat den Begriff Geologie als den allgemeineren auf die Gesamtheit der Erscheinungen im festen Teil der Erde ausgedehnt. Die Erscheinungen gliedern sich etwa wie folgt: 1. die Erde als Planet im Sonnensystem, ihre Gestalt, Größe, äußere Erscheinung, Verteilung von Luft, Wasser und Land, Dichtigkeit, Zustand des Erdinnern, Erdwärme = Geophysik oder physiographische Geologie; 2. die Gesteine der Erde, ihre Beschaffenheit, Entstehung und Umwandlung = Gesteinskunde, Petrographie, Lithologie; 3. die Kräfte und ihre Aeußerungen, die im Laufe der Entwicklung der Erde beobachtet werden, Vulkanismus, Erdbeben, Gebirgsbildung, Tätigkeit der Atmosphäre, des Wassers und Eises, der Organismen = dynamische Geologie oder Geodynamik; 4. der Aufbau der Gesteine als Gebirgsmassen, ihre Lagerung = tektonische Geologie oder Geotektonik; 5. die Aufeinanderfolge der Gesteine und die während ihrer Bildung vorhandenen Lebewesen, Entwicklung der Erde in den verschiedenen Zeiträumen = historische Geologie, Formationskunde, Geogenie.

Die Geologie als Erfahrungswissenschaft sammelt alle Beobachtungen über den Bau der Erde und die Beschaffenheit der sie zusammensetzenden Gesteine. Danach ist Pflicht des Geologen, alle natürlichen und künstlichen Entblößungen oder Aufschlüsse der Erdschichten, von der oberflächlichen Vegetations- oder Verwitterungserde abgesehen, genau zu untersuchen in bezug auf Lagerung und Beschaffenheit der Gesteine, Vorkommen von Versteinerungen. Natürliche Entblößungen sind: Felsen, Wasserrisse oder Erosionsrinnen, Meeresküsten, Uferbrüche, [387] Erdfälle, Bergrutsche u.s.w. Als künstliche Entblößungen gelten: Steinbrüche, Sand-, Kies-, Lehmgruben, Hohlwege, Straßen-, Kanal- und Eisenbahneinschnitte, Gräben, Brunnengrabungen, Fundamentgruben, endlich Bergwerke, Bohrungen u.s.w. Außer diesen Quellen der Forschung besteht die Arbeit des Geologen in der Untersuchung der Gesteine und Verfeinerungen, erstere nach ihrem chemisch-mineralischen Bestand, letztere nach ihrer Stellung im Pflanzen- oder Tierreich. Die genaue Bestimmung der Gattung und Art der Versteinerung hat für die Altersstellung der Schichten, in denen sie vorkommt, großen Wert (s. Versteinerung).

Die Mutter der Geologie ist der Bergbau; aus ihm hat sich erst zu Ende des 18. Jahrhunderts wesentlich durch die Bestrebungen und Lehren von G.A. Werner (1750–1817), Professor in Freiberg (Sachsen), die neue Wissenschaft entwickelt. Sein Schüler L. v. Buch dehnte die Forschungen auf den heutigen Umfang der Wissenschaft bereits aus und sammelte auf zahlreichen Reisen eine Fülle neuer Tatsachen. Murchison und Sedgwick gliederten die älteren Schichtenreihen nach ihrem Alter in einzelne Abteilungen, Elie de Beaumont stellte ein System der Gebirgsbildung auf und Lyell wirkte durch seine Principles of geology vorwiegend klärend. Die chemische Seite der Gesteine und der Veränderungen in der Natur hat durch G. Bischof (1792–1870) die größte Förderung und breiteste Grundlage erlangt. Durch die Einführung des Mikroskopes in die Gesteinsuntersuchung schuf H. Cl. Sorby 1858 die heutige Gesteinskunde. Den größten Einfluß in der neuesten Geologie hat nach Ch. Darwin der Wiener E. Sueß durch sein dreibändiges Werk über das Antlitz der Erde erlangt. Neben der freien Forschung haben beinahe sämtliche europäischen Staaten (die Balkanstaaten ausgenommen) offizielle Anstalten (Geologische Landesanstalten) gegründet, denen die Erforschung des Landes und Herstellung geologischer Karten zur Hauptaufgabe gemacht wurde. Ein außerordentlich hervorragender Teil der Fortschritte ist den Landesaufnahmen zu danken. – Als die wichtigsten Lehr- und Handbücher der Geologie sind zu nennen: Naumann, C. Fr., Lehrbuch der Geognosie, 2. Aufl., 3 Bde., 1858–72; Bischof, Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie, 2. Aufl., Bonn 1863–71; Leonhard-Hörnes, Grundzüge der Geognosie und Geologie, 2. Aufl., Leipzig 1889; Credner, H., Elemente der Geologie, 9. Aufl., Leipzig 1902; Roth-Just, Allgemeine und chemische Geologie, 3 Bde., Berlin 1879–90; Sueß, E., Das Antlitz der Erde, 3 Bde., Prag und Leipzig 1885–89; Gümbel, W.C. v., Grundzüge der Geologie, Kassel 1888; Fritsch, G. v., Allgemeine Geologie, Stuttgart 1888; Kayser, E., Lehrbuch der geologischen Formationskunde, 2. Aufl., Stuttgart 1902; Ders., Allgemeine Geologie, Stuttgart 1905; Neumayr, M., Erdgeschichte, 2 Bde., 2. Aufl., Leipzig u. Wien 1895; Lapparent, A. de, Traité de géologie, 2 Bde., 5. Aufl., Paris 1906.

Die Beziehungen der Geologie zur Technik sind außerordentlich mannigfaltige. Sie erstrecken sich auf alle technisch verwertbaren Mineralien und Gesteine, auf die Lagerung und auf die Formationskunde [1]. Die Zahl der Forschungen, die von geologischer Seite für Zwecke der Technik ausgeführt werden, wächst fortwährend. Trotzdem sind geologisch-technische Veröffentlichungen verhältnismäßig seltene Erscheinungen, wenn man von den bergmännischen Untersuchungen absieht.

Im nachfolgenden sollen die allgemeinen Gesichtspunkte kurz angedeutet werden, in denen die Geologie der Technik beratend zur Seite stehen kann. Trotzdem sich die Anfänge der Geologie aus dem Bergwesen herleiten, hat die geologische Spezialforschung diejenigen Anschauungen, die sich auf das Auftreten und die Erstreckung der bergmännischen Minerale erstrecken (Lagerstättenlehre), wesentlich vertieft durch die eingehenderen Schichtengliederungen, die Festlegung der Störungen und damit der Gänge, Flöze, Lager u.s.w. Nach denselben Gesichtspunkten kann auch die Geologie bei dem Aufsuchen der Baumaterialien, Bausteine, Ziegel-, Backstein- und Mörtelrohmaterialien, Dachschiefer beratend zur Seite stehen. Sie vermag ferner die Brauchbarkeit der zum Hoch- und Tiefbau, auch Straßenbau verwendeten Materialien auf Grund der eingehenden Gesteinsuntersuchungen zu beurteilen, mindestens mit dem gleichen Erfolge, den eingehende Untersuchungen über die Festigkeit der Gesteine haben [2], [3]. Der Anlage der Eisenbahnen dürfte in allen Fällen die Untersuchung des Gebietes durch den Geologen vor der Tracierung von höchstem Nutzen sein, einerseits um vorauszusehenden Schwierigkeiten und Unkosten, die sich an die Erdarbeiten in gewissen Gesteinen knüpfen, aus dem Weg zu gehen, anderseits um die beim Bau selbst zu erschließenden nutzbaren Gesteine kennen zu lernen. Es mag hier darauf hingewiesen werden, daß sich eine nicht unbeträchtliche Menge von Schwierigkeiten, wie die Legung von tiefen Einschnitten und Tunnels in wasserführende und plastische Gesteine und der Bau von Dämmen aus solchen, hätte umgehen lassen, wenn eine genaue geologische Untersuchung des Gebietes der Tracierung vorausgegangen wäre. Die italienischen und französischen Eisenbahnverwaltungen, die weit größere Terrainschwierigkeiten zu überwinden haben, als sie im Mittelgebirge und Tiefland vorliegen, verfahren in diesem Sinne. – Die Verteilung des unterirdischen Wassers hängt von der Beschaffenheit der Erdschichten ab, und die Kenntnis der letzteren befähigt in vielen Fällen, den Nachweis für größere Wassermengen im Untergrund zu liefern oder unfruchtbare Unternehmungen hintanzuhalten. Am wichtigsten erscheint daher die Geologie für die auf die Wasserbeschaffung gerichteten Bestrebungen des Wasserversorgungswesens. Die Bedeutung der Geologie für die Bodenbenutzung und -bewirtschaftung [4] hat in den letzten Jahren einen außerordentlich großen Umfang angenommen und zur Herstellung geologisch-agronomischer Spezialkarten geführt. Für die mineralische Verbesserung und Wertschätzung des Bodens sind damit die ersten exakten Grundlagen geschaffen worden.


Literatur: [1] d'Orbigny et Gente, Die Geologie in ihrer Anwendung auf Künste, Gewerbe und Ackerbau, deutsch von C. Hartmann, 1852; Page, D., Economic Geology or Geology in its relations to the arts and manufactures, London und Edinburg 1874; Brauns, D., Technische Geologie, Halle 1878. – [2] Nivoit, E., Géologie appliquée à l'art de l'ingénieur, Paris 1887, 2 Bde. – [3] Stapff, F.M., Was kann das Studium der dynamischen Geologie im praktischen[388] Leben nützen, besonders in der Berufstätigkeit des Bauingenieurs? Zeitschr. f. prakt. Geologie 1893, S. 445; Wagner, C.J., Die Beziehungen der Geologie zu den Ingenieurwissenschaften, Wien 1884. – [4] Wahnschaffe, F., Geologie und Ackerbau, Zeitschr. f. prakt. Geologie 1893, S. 11. – [5] Krahmann, M., Zeitschr. f. prakt. Geologie (erscheint seit 1893 in Berlin).

Leppla.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 387-389.
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