Auge [2]

[44] Auge. Das Auge des Menschen und der Säugetiere unterscheidet sich in rein optischer Beziehung von einem gewöhnlichen, von Luft umgebenen Linsensysteme dadurch, daß die beiden äußersten der vom Lichtstrahl durchlaufenen Medien nicht identisch, die beiden Brennweiten also verschieden sind und die Knotenpunkte (s. Linse, Bd. 6, S. 170) nicht mit den Hauptpunkten zusammenfallen. Der von außen in das Auge dringende Lichtstrahl durchläuft nacheinander die Luft, die Hornhaut, die wässerige Feuchtigkeit, die Kristallinse und den Glaskörper.

Um die Lage der Kardinalpunkte berechnen zu können, nahm Listing ein reduziertes Auge an, dem folgende Konstanten zugrunde liegen: Brechungsquotient der Luft = 1, der wässerigen Feuchtigkeit und des Glaskörpers = 103/77 = 1,33766, der Linse = 16/11 = 1,45454; Krümmungshalbmesser der Hornhaut = 8 mm, der vorderen Linsenfläche = 10 mm, der hinteren Linsenfläche = 6 mm; Entfernung des Scheitels der vorderen Hornhautfläche vom Scheitel der vorderen Linsenfläche = 4 mm, Dicke der Linse = 4 mm. – Daraus ergeben sich folgende Maße: Der vordere Brennpunkt liegt 12,8326 mm vor der Hornhaut, der hintere Brennpunkt 14,6470 mm hinter der Hinterfläche der Linse, der vordere Hauptpunkt 2,1746 mm, der hintere Hauptpunkt 2,5724 mm hinter der Vorderfläche der Hornhaut, so daß beide Hauptpunkte 0,3978 mm voneinander entfernt sind. Ferner liegt der vordere Knotenpunkt 0,7580 mm, der hintere Knotenpunkt 0,3602 mm vor der Hinterfläche der Linse. Daraus ergibt sich für die vordere Brennweite der Wert 15,0072 mm, für die hintere der Wert 20,0746 mm; beide stehen, wie es sein muß (s. Linien und Linsensysteme), im Verhältnisse 77 : 103.

Wüllner hat die Maße des Auges, die naturgemäß nur schwer genau zu bestimmen und auch individuell verschieden sind, folgendermaßen angenommen: Entfernung des vorderen Hornhautscheitels vom vorderen Linsenscheitel 3,78 mm, Linsendicke 4,00 mm, Krümmungsradius der Hornhaut 7,80 mm, der vorderen Linsenfläche 9,58 mm, der hinteren Linsenfläche 5,87 mm; Brechungsquotient der Luft = 1, der wässerigen Feuchtigkeit und des Glaskörpers = 1,3465, der Linse = 1,4545. Daraus folgen die Maße: der vordere Brennpunkt liegt 12,8095 mm vor, der hintere Brennpunkt 22,2119 mm hinter, der vordere Hauptpunkt 1,9578 mm, der hintere Hauptpunkt 2,3276 mm, der vordere Knotenpunkt 7,0748, der hintere Knotenpunkt 7,4446 mm hinter der Vorderfläche der Hornhaut. Die vordere Brennweite ist demnach = 14,7673 mm, die hintere = 19,8843 mm; die Entfernung beider Knotenpunkte ist 0,3698 mm. Die den vorderen Brennpunkt und den vorderen Hauptpunkt betreffenden Maße sind von Ferraris-Lippich verbessert worden, da Wüllner ein Rechenfehler unterlaufen war. Bei obigen Angaben sind diese Verbesserungen berücksichtigt worden.

Der blinde Fleck der Netzhaut ist die Eintrittsstelle des Sehnervs; erliegt, vom gelben Flecke aus gerechnet, etwas mehr nach der Nase zu. Von ihm aus breiten sich die Arterien und Venen der Netzhaut nach allen Seiten aus. Die Netzhaut ist bedeckt mit seinen, dicht beieinander stehenden Nerventastern; von jedem dieser Lichtaufnahmeapparate führt eine Nervenfaser zum blinden Flecke. Diese Nerventaster zerfallen in zwei Arten, die seinen zylindrischen »Stäbchen« und die breiteren, mehr kegelförmigen »Zäpfchen«. Im »Sehgrübchen« des gelben Flecks, der Stelle des schärfsten Sehens, sind nur Zäpfchen in mosaikartiger, der Farbenempfindlichkeit in unserm Auge entsprechender Anordnung vorhanden; hier kommt das »Farbensehen« zustande. Mit wachsender Entfernung vom gelben Flecke nehmen die Stäbchen an Zahl zu; sie sind besonders für Helligkeitsunterschiede empfindlich und treten namentlich bei der Wahrnehmung nichtfixierter Gegenstände sowie beim Sehen im Zwielicht in Tätigkeit. Eine bedeutende Rolle beim Sehen spielt auch der Sehpurpur, der durch das Licht zersetzt, aber fortwährend neu gebildet wird.

Der Augenhintergrund zeigt sich bei Untersuchungen mit dem Augenspiegel bei verschiedenen Menschenrassen verschieden gefärbt; die Farbe ändert sich von Orangerot bei hellblonden Europäern bis zum Dunkelbraun bei Negern. Der Augenhintergrund der menschenähnlichen Affen ist dem der Neger sehr ähnlich. Allen übrigen Säugetieren fehlt das Sehgrübchen, das aber die Vögel besitzen. An Stelle des gelben Flecks besitzen die Säugetiere eine größere lichtempfindliche Zone, die bei verschiedenen Tiergattungen verschieden gestaltet ist und als »Zentralbezirk« bezeichnet wird. Sehr interessante Augenspiegeluntersuchungen an Tieren hat neuerdings der englische Augenarzt G. Lindsay Johnson angestellt.[44]


Literatur: [1] Helmholtz, Handbuch der physiologischen Optik, Leipzig 1867. – [2] Ferraris-Lippich, Die Fundamentaleigenschaften der dioptrischen Instrumente, Leipzig 1879. – [3] Wüllner Lehrbuch der Experimentalphysik, 2. Bd., 3. Aufl., Leipzig 1871. – [4] Johnson, Contributions to the comparative anatomy of the mamalian eye, in »Philosophical Transactions of the Royal Society of London«, Serie B, Bd. 194.

F. Meisel.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 44-45.
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